12. April 2010 10:24
Für die Quote ist es immer gut, zwei Welten aufeinanderprallen zu lassen.
Doch was die Amerikaner derzeit bei ABC an Reality-TV zu sehen bekommen, ist
mehr ein Krieg der Welten. In "Jamie Oliver's Food Revolution" versucht der
britische Starkoch, einer amerikanischen Stadt gesundes Essen beizubringen.
Und der staunende Zuschauer erfährt etwas über übergewichtige Familien, die
nur Goldgelbes zu sich nehmen, Pizza zum Frühstück und Grundschüler, die
noch nie mit Messer und Gabel gegessen haben.
Pizza zum Frühstück
Das erste Bild sieht noch ganz
normal aus. Die Kinder, sieben, acht Jahre alt, sitzen mit ihren
Plastiktabletts und einem großen Stück Pizza darauf in der Schulspeisung.
Dann kommt die Einblendung "7.40 Uhr - Frühstück". Oliver, Apostel des
gesunden Essens im gern alles frittierenden Großbritannien, steht schockiert
daneben. "Pizza zum Frühstück", fragt er bleich die Küchenfrauen, "bei uns
in England gibt es das zum Mittag". Die zucken mit den Schultern: "Bei uns
auch. Morgen gibt es die Pizza zum Mittag."
Übergewicht und Diabetes
Die USA sind ein stark
übergewichtiges Land. Das gilt mehr und mehr auch für die meisten
europäischen Staaten, aber Amerika ist da schon weiter. Je ländlicher, je
südlicher, je ärmer, desto mehr Fleisch wird gegessen, Essen frittiert,
Gemüse ignoriert und desto mehr Fett wabbelt auf den Hüften. Den Höhepunkt
bildet laut einer Regierungsstudie die Stadt Huntington im Bundesstaat West
Virginia: Mehr als 45 Prozent der Erwachsenen sind übergewichtig, jeder
siebte hat Diabetes, die Hälfte der 65-Jährigen keinen eigenen Zahn mehr im
Mund. Nur die Spitze des Eisbergs in einer Region, in der es Eiscreme im
1,5-Gallonen-Eimer (5,7 Liter) gibt und "Baconnaise", Mayonnaise mit
Speckgeschmack.
"Du spielst mit dem Leben Deiner Kinder", sagt Oliver zu einer Mutter -
genau wie Mann und drei Kinder hat sie weit mehr als das Normalgewicht. Ein
Versuch zeigt, warum: Der große Tisch reicht nicht, um die Mengen an Pizza,
Pommes Frittes, Nachos und Fettgebackenem aufzunehmen, die die fünf in einer
Woche essen. Der Herd bleibt kalt, praktisch alles kommt aus der
Familienfritteuse. "Ist alles, was Ihr esst, goldgelb?", fragt Oliver
zweifelnd. Die Frau nickt und bricht in Tränen aus, als der Engländer ihr
erklärt, dass sie mit dieser Ernährung ihren Kindern zwölf, 14 Jahre ihrer
Lebenserwartung raube.
"Wir erleben die erste Generation, die nicht so alt wird wie ihre Eltern.
Alles wegen dieses Essens!" Gemeinsam wird die Fritteuse feierlich bestattet
und der Kühlschrank mit Gemüse gefüllt. Als Oliver ein paar Tage später
wiederkommt, ist kaum etwas angerührt.
Wo ist das Besteck?
Ein begabter, aber arroganter Brite trifft
auf das vielleicht unbelehrbarste Volk der Welt. "Warum gibt es eigentlich
nur Finger Food? Wo ist das Besteck?", fragt er die Küchenfrauen. Die können
die Frage nicht fassen. "Wir sind eine Grundschule! Die ältesten Kinder sind
gerade zehn!", sagt eine entsetzt. Was da alles passieren könne. Oliver
sagt, dass in Europa selbst im Kindergarten der Umgang mit Besteck geübt
werde. Schweigen bei den Küchenfrauen. Dann fragt eine voller Unglauben und
Hohn: "Gibt es da Nachweise für?"
Das Unwissen der Grundschüler erschreckt Oliver; nicht nur beim Experiment
mit dem Besteck, das kaum einer richtig zu benutzen weiß. Keiner erkennt
eine Paradeiser, beim Erdapfel herrscht Schweigen. "French fries", rufen
dagegen alle im Chor, als er ein Pommes frites hochhält. "Das da macht man
daraus", sagt er und zeigt den Erdapfel dazu. Ungläubiges Staunen.
Dann ekelt der Koch die Kinder mit Hühnerabfällen. Er püriert und paniert
die Knochen, Knorpel und Fett und zaubert so Hühnernuggets. "Na, wollt Ihr
jetzt immer noch Chicken Nuggets essen?", fragt er selbstbewusst. Die
Kinder, eben noch angewidert, überlegen keine Sekunde: Alle Finger gehen
hoch.