30. April 2010 08:44
Wie weit beeinflusst medizinisches Wissen aus dem Internet die Beziehungen
zwischen Ärzten und Patienten? Dies analysierte die Wiener Wissenschafterin
Ulrike Felt in einer rund dreijährigen Studie unter dem Titel "Virtuell
informiert? Möglichkeiten und Herausforderungen für die Medizin im
Internetzeitalter". Die Ergebnisse präsentierte sie am Mittwochabend in
Graz. Felt fand u.a. heraus, dass die Nutzer meist nicht nach Information,
sondern eher nach Bestätigung suchen würden, und ermittelte vier
verschiedene Patientenmodelle.
Googeln
Sie Ihre Krankheitssymptome?
Dem steirischen Ärztekammerpräsidenten, Wolfgang Routil, zufolge suchen die
Österreicher im Internet zu einem großen Teil nach Gesundheitsthemen, womit
die Ärzte "nur bedingt Freude" hätten. Ulrike Felt, Vorstand des Instituts
für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien, untersuchte mit
Suchexperimenten, Website-Analysen, Medien-Analysen und Interviews die
Arzt-Patienten-Beziehungen in Zeiten der Internetrecherche.
Suche nach Bestätigung
"Bis auf eine einzige Ausnahme
benutzten alle unserer Probanden die Suchmaschine Google für ihre
Recherchen", so Felt. Die Auswahl der von Google angebotenen Seiten erfolge
dann willkürlich: "Meistens werden nur Unterseiten und nicht die gesamte
Website besucht. Qualitätslabel werden kaum beachtet, weil sie entweder
nicht erkannt oder überhaupt nicht gefunden werden." Die Nutzer würden
generell meistens nicht nach Informationen, sondern eher nach Bestätigung
suchen. Auch der Name der Webpage, die grafische Aufbereitung, die
Übersichtlichkeit und die verwendete Sprache hätten Einfluss darauf, ob die
Webseite von den Usern beachtet werde.
Vier unterschiedliche Patiententypen
Ulrike Felt ermittelte im
Zuge ihrer Studie vier unterschiedliche Patiententypen: Im ersten, dem
Verbesserte-Hierarchie-Modell, meinen diese, dem Arzt die Arbeit abzunehmen,
indem sie sich bereits vor der Untersuchung über Krankheiten und
Fachbegriffe informieren. Nach dem Kompensations- und Erweiterungsmodell
herrscht beim zweiten Patiententyp die Meinung vor, dass die Ärzte nicht
alles wissen können und sie das Wissen durch das Internet ergänzen. Das
dritte Modell ist das Verhandlungsmodell, bei welchem sich der Patient
selbst über mögliche Behandlungen informiert und dann mit dem Arzt darüber
verhandeln will. Die letzte Patientengruppe handelt nach dem
Aufgabenverteilungsmodell: Sie "erlauben" dem Arzt, sich um die Behandlung
zu kümmern, eignen sich aber das theoretische Wissen über die Krankheit
selbst an. "Viele Patienten wollen gar nicht zugeben, dass sie ihr Wissen
aus dem Internet beziehen, um dem Arzt nicht das Gefühl zu geben, dass sie
ihm nicht vertrauen", so Felt.
Selbstdiagnosen gefährlich
In der anschließenden
Podiumsdiskussion mit Felt, der Allgemeinmedizinerin Doris Wiesauer, dem
Radiologen Erich Sorantin und dem Doktoranden Michael Sacherer wurde auf die
Gefahren der Selbstdiagnose via Internet eingegangen. "Wenn die Leute im
Internet selbst recherchieren und dabei auf beängstigende Diagnosen stoßen,
können sich im Ernstfall sogar Neurosen entwickeln", so Wiesauer. Sorantin
bestätigte dies: "Befunde aus dem Internet können Furcht hervorrufen. Das
Internet klärt teilweise zu sehr auf." Die andere Seite sei, dass schwere
Krankheiten im Internet auch verharmlost werden können. Einig waren sich die
Experten darin, dass der Arzt-Patienten-Beziehung in den nächsten Jahren
durch das Internet eine gravierende Veränderung bevorstehe. Man müsse sich
überlegen, wie man das Internet sinnvoll einsetzen könne, so der allgemeine
Tenor.