30. April 2008 21:56
Weltweit sind 2,6 Millionen Menschen querschnittgelähmt. Die Erforschung von
Rückenmarksverletzungen war bis vor 20 Jahren ein vernachlässigtes Gebiet.
Jetzt wird mit Hilfe von Stiftungen intensiv geforscht. Eine spezielle
Antikörpertherapie, die 1990 gelähmte Ratten wieder gehen ließ und
mittlerweile gelähmte Affen zum Zupacken bewegte, wird seit eineinhalb
Jahren auch an Menschen getestet.
In Österreich bleiben rund 200 Menschen jährlich nach Unfällen gelähmt, in
der Schweiz etwa 180 und in Deutschland um die 1.000. Die meisten erwischt
es im Alter von durchschnittlich 19 Jahren. Mit dieser Verletzung verlieren
Betroffene auch die Sexualfunktion, die Darm- und Blasenkontrolle sowie die
Empfindung für Schmerz, Berührung und Temperatur.
Bewegung wieder möglich
"Eine komplette Heilung wird es
vielleicht nie geben", meint Martin Schwab, Professor für Hirnforschung an
der Universität Zürich. Aber: Es sei schon ein fantastischer Erfolg, wenn es
zu einer spontanen Bildung neuer Schaltkreise komme und sich dadurch die
Bewegungsfähigkeit verbessere, so dass Patienten wieder selbstständig atmen,
Schultern und Hände bewegen, womöglich wieder alleine stehen und gehen
können.
Schwab ist 1990 die erfolgreiche Antikörpertherapie bei Ratten gelungen, er
brachte damit die neurologische Grundlagenforschung auf einen völlig neuen
Weg.
Nerven können zusammenwachsen
Der Schweizer Neurologe
brachte damals das von der Wissenschaft selbst verordnete Dogma zu Fall,
wonach durchtrennte Fasern des Zentralnervensystems niemals wieder
zusammenwachsen. In Zellkulturexperimenten wurde festgestellt, dass das
kleine Protein "Nogo" die Fasern am Zusammenwachsen hindert. Wird aber ein
Antikörper gegen "Nogo" gerichtet, wachsen die Nerven ungehindert aus.
30 Versuchskaninchen am Start
Bei Tierversuchen wurden schon
große Fortschritte erzielt, nun ist der Mensch an der Reihe. 20 bis 30
"frisch verletzte" Querschnittgelähmte unterziehen sich derzeit in
Spezialkliniken - z.B. in der Schweiz, in Deutschland, Italien, Holland und
Kanada - einer klinischen Studie finanziert vom Pharma-Konzern Novartis.
Schritt für Schritt
In einer ersten Phase werden die
Dosierung des Medikaments, das die Wachstumshemmstoffe ausschaltet, und
mögliche Nebenwirkungen getestet. In der nächsten Forschungsphase soll die
Therapiemethode an über 200 Patienten erprobt werden. Später wird die Anzahl
der Testpersonen noch erhöht. Bis signifikante Fortschritte erzielt werden,
könnten noch einige Jahre vergehen.
Sehr kleiner Markt
Die Erforschung von Rückenmarksverletzungen
war ein vernachlässigtes Gebiet, weil die Zahl der Querschnittgelähmten pro
Land und Jahr relativ klein und für die Industrie daher relativ unattraktiv
ist, um Geld in Pionierprojekte zu investieren. Die gemeinnützige Stiftung
"Wings for Life" steckt jährlich 1,5 Millionen Euro in die
Rückenmarkforschung und fördert die wissenschaftliche Kommunikation der
Experten untereinander.