25. April 2008 16:12
Die bisherige Hülle um den Reaktor Nummer 4 in Tschernobyl ist brüchig
geworden, ein neuer Sarkophag soll die Umwelt vor weiteren Auswirkungen des
bisher schwersten Unglücks bei der zivilen Nutzung der Atomkraft schützen.
22 Jahre nach der Katastrophe wird an einer verbesserten Abschirmung des
Reaktors in der Ukraine gearbeitet, um "das Ziel von Sicherheit" zu
erreichen. Insgesamt knapp 320 Millionen Euro soll die verbesserte Hülle
kosten, die den am 26. April 1986 zerstörten Reaktor unter Verschluss halten
wird.
Das von einem internationalen Fonds unter Leitung der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) finanzierte Projekt soll den nach dem
GAU (Größten Anzunehmenden Unfall) im Eiltempo gebauten Sarkophag um den
Reaktor komplett umschließen. Nach Abschluss der Arbeiten sei Tschernobyl
dann sicher, sagt Fondsmanager Vincent Novak.
Mindestens 10.000 Tote nach Super-GAU
Das Tschernobyl-Unglück hat
in den darauffolgenden zwei Monaten 31 Menschen das Leben gekostet. Nach
UN-Schätzungen werden an den Folgen rund 9.300 Menschen sterben, die
Umweltschutzorganisation Greenpeace geht von zehnmal so vielen Opfern aus.
Der alte Sarkophag aus Stahlbeton wurde kurz nach dem Unfall fieberhaft
binnen weniger Monate von rund 90.000 Arbeitern hochgezogen, die sich
stellenweise vor einer zweimillionenfach erhöhten Strahlendosis schützen
mussten. Die neue Hülle soll rund 150 Meter hoch sein und 20.000 Tonnen
wiegen - in ihrem Inneren könnte man problemlos die Kathedrale von Notre
Dame oder die Freiheitsstatue unterbringen. Die Arbeiten sollen im kommenden
Jahr beginnen und 2012 abgeschlossen sein. Dann soll der Sarkophag 100 Jahre
lang Schutz vor weiteren Folgen Tschernobyls bieten.
Erbaut wird die gigantische Hülle in rund 120 Metern Entfernung von dem
zerstörten Reaktor von Arbeitern, die Schutzanzüge und Atemmasken tragen. In
geringerem Abstand werden Spezialisten in Schichten von nur wenigen Minuten
eingesetzt.
Endlagerung erst in 50 Jahren
In fünf Jahrzehnten soll dann der
geschmolzene Brennstoff des Reaktors entfernt werden - wo er gelagert wird,
darüber sind sich die Experten bisher noch nicht einig. Nach Angaben der
EBWE befinden sich in dem zerstörten Reaktor noch 95 Prozent des nuklearen
Materials, andere Fachleute gehen davon aus, dass der Großteil binnen
weniger Tage in die Umgebung gelangte. Nach dem GAU wurde eine Region knapp
halb so groß wie Italien kontaminiert, Hunderttausende von Menschen mussten
umgesiedelt werden.
Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem verheerenden Unglück will der ukrainische
Präsident Viktor Juschtschenko die Atomindustrie wieder weiter ausbauen.
Umweltschützer haben sich gegen diese Pläne ausgesprochen und verweisen auf
die immensen Kosten für den Sarkophag in Tschernobyl und die "versteckten"
Kosten und Gefahren der Atomenergie. "Kernenergie hat gezeigt, wie teuer sie
ist", warnte Wladimir Tschuprow von Greenpeace Russland.