05. Mai 2008 09:54
Sie singen nachts, zwitschern lauter oder trällern in höheren Tonlagen. Der
Lärm in Städten verändert das Verhalten vieler Vögel. Einige Tiere
verschaffen sich auf geradezu kreative Weise Gehör im urbanen Grundrauschen.
Rotkehlchen werden zu Nachtschwärmern und Kohlmeisen zu hochtonigen
Schreihälsen.
Dadurch wiederum entwickeln sich Tiere in Stadt und Land auseinander.
Langfristig könnten gar neue Arten entstehen, die sich untereinander nicht
mehr verstehen, glauben Ornithologen. Zwischen Asphaltpisten und Bahntrassen
vollzieht sich eine Art Evolution im Zeitraffer.
Nachtigallen überbrüllen Stadtlärm
Dem Gesang
männlicher Stadt-Nachtigallen lauschte der Verhaltensbiologe Henrik Brumm
von der Freien Universität Berlin. Er fand heraus, dass die Tiere gegen
laute Hintergrundgeräusche förmlich anschreien. In Berlin waren sie bis zu
14 Dezibel lauter als ihre Artgenossen in den nahen Wäldern. Die Lautstärke
steigt proportional zum Pegel der Hintergrundgeräusche. An Werktagen haben
die Vögel morgens daher besonders laut gesungen.
Kohlmeisen werden Soprane
Eine ähnliche Strategie haben
Kohlmeisen, wie eine Studie der niederländischen Forscher Hans Slabbekoorn
und Ardie den Boer-Visser von der Universität Leiden zeigt. Kohlmeisen
pfeifen in Städten höher, schneller und kürzer als in freier Natur, um sich
vom zumeist tieffrequenten Grummeln der Metropolen abzuheben. Die Forscher
haben die Tiere in zehn Städten beobachtet, darunter Berlin, London und
Paris, und überall zeigte sich dasselbe Bild. Diese Flexibilität macht
Kohlmeisen erst zu Überlebenden des Großstadtdschungels.
Rotkehlchen werden Nachtschwärmer
Rotkehlchen dagegen setzen
weniger auf die Kraft ihrer Stimme. Sie weichen auf die ruhigeren
Nachtstunden aus, wie Richard Fuller von der Universität Sheffield
ergründete. Je lauter die Geräuschkulisse am Tag ist, desto eher erheben
Rotkehlchen nachts ihre Stimme. Allerdings belastet das Nachtsingen die
zierlichen Tiere, da sie weniger schlafen und dadurch einen gesteigerten
Stoffwechsel haben.
Tauben nehmen's gelassen
Grundsätzlich sind besonders diejenigen
Vögel vom Lärm betroffen, die einen feinen Gesang haben und bei der Balz auf
ihre Stimme angewiesen sind, so Martin Nipkow, Vogelschutzexperte beim
Naturschutzbund Deutschland (NABU). "Dazu gehört das Rotkehlchen mit seinem
leisen, perlenden Gesang." Tauben dagegen haben weniger Probleme mit Trubel,
weil sie ihre Weibchen mit Balzflügen umgarnen.
Nur die Starken kommen durch
Dass Vögel in lauter Umgebung hohe
Töne in ihr Stimm-Repertoire aufnehmen, ist laut Nipkow kein neues und auch
kein rein städtisches Phänomen. "Man kennt das von Vögeln an reißenden
Flüssen", sagt er. Beispiele sind Wasseramseln und Eisvögel. Erstaunlich ist
aber, wie schnell die Anpassung in Städten gelungen sei. Die Tiere passen
sich in wenigen Generationen an - zumindest manche. Weniger
anpassungsfähigen Arten droht das Aus. Zu den Verlierern zählen die
Goldamsel, der Kuckuck, der Drosselrohrsänger und der Hausspatz, weil sie
nicht in der Lage sind, höher zu singen.
Zebrafinken werden untreu
Völlig anders könnte Lärm auf
Zebrafinken wirken. Diese australischen Vögel mit ihren leuchtend roten
Schnäbeln sind ihrem Partner normalerweise ein Leben lang treu. Bei Lärm
aber schwindet ihre Monogamie, wie Forscher um John Swaddle vom College of
William and Mary in Williamsburg (US-Bundesstaat Virginia) herausfanden. Das
könnte daran liegen, dass Weibchen die vertrauten Laute "ihrer" Männchen
nicht mehr hören können.