Wahl-Kommentar

Taktisches Wählen mit Leihstimmen geht meist schief

Teilen

Ein Kommentar von oe24.TV-Polit-Insider Peter Westenthaler.

Motive, eine Partei zu wählen, sind mannigfaltig und oft gar nicht so rational, wie die Meinungsforschung annimmt.

Sind es bestimmte Programme, Versprechen?

Sind es Kandidaten?

Sind es persönliche Erlebnisse oder profane Eindrücke?

Oder ist es ein Mix aus allem, die berühmte Bauchentscheidung?

Eine immer spannender werdende Kategorie ist das „taktische Wählen“. Was heißt das eigentlich? Es bedeutet, eine Partei nur zu wählen, um eine bestimmte Konstellation nach der Wahl positiv oder negativ zu beeinflussen.

Dazu traten in der Vergangenheit öfters die sogenannten „Leihstimmen“ in den Vordergrund. Das bedeutet, dass ein Anhänger einer Partei bei der aktuellen Wahl seine Stimme an eine andere Partei „verleiht“, weil er eben eine bestimmte Koalition nach der Wahl haben oder nicht haben möchte.

Bei der letzten Wahl 2017 gab es Tausende Leihstimmen von Grünen für die SPÖ, weil es damals im Gegensatz zu heute um den Kanzler ging. Das Ergebnis ist bekannt: Die Grünen flogen aus dem Parlament, die SPÖ erzielte trotz Silberstein-Chaos einen Achtungserfolg, verlor aber Kanzler und Regierung.

Die Taktikwähler der Grünen beißen sich noch heute in den Allerwertesten und werden diesen fatalen Fehler diesmal nicht mehr machen. Aber welche Leihstimme könnte es diesmal geben?

Lockrufe der ÖVP an die FPÖ-Wähler sind laut

Wer tappt als taktischer Wähler diesmal in die Falle? Anfällig dafür sind diesmal Menschen, die 2017 FPÖ gewählt haben. Die Lockrufe der ÖVP an diese Wähler sind unüberhörbar. Mit dem eigentlich merkwürdigen Versprechen, seinen Weg fortzusetzen (obwohl er die Regierung gesprengt hat), wirft Kurz seine Angel Richtung Blau aus.

Dass die Türkisen eine Fortsetzung der Koalition mit der FPÖ in Wahrheit bereits intern zu Grabe getragen haben und an einem grünen Abenteuer mit ungewissem Ausgang basteln, wird tunlichst verschwiegen. Eine blaue Leihstimme für Kurz könnte sich nach der Wahl als ebenso fataler Fehler erweisen wie jene taktische Wahl so mancher Grüner 2017.

Denn wer am 29. 9. mit Kurz schlafen geht, könnte am 30. 9. mit Türkis-Grün aufwachen! Eine Horror-Vorstellung für jeden Freiheitlichen. Daher ist es nur logisch, dass die FPÖ-Führung nun anfäl­lige Wähler damit überzeugen will, dass nur eine starke FPÖ den Fortbestand der beliebten türkis-blauen Regierung samt strenger Fremdengesetze, Steuersenkung und mehr direkter Demokratie garantiert.

Ob die ÖVP am Ende 34, 35 oder 36 % erreicht, ist eigentlich egal, verliert jedoch die FPÖ und fällt unter 20 Prozent, wären wohl alle Regierungsträume beendet und Österreich rutscht trotz oder wegen Kurz nach links.

Taktisches Wählen würde also auch in diesem Fall grandios schiefgehen. Dasselbe gilt übrigens auch im linken Parteienspektrum. Hier gelingt es Rendi-Wagner nicht, die grünen Leihstimmen von 2017 zu halten, weil das verzweifelte Ausrufen eines Kanzlerduells durch die SPÖ genauso glaubwürdig wirkt wie Schnee im Juli.

Warum die SPÖ nicht in den ultimativen Kampf um Platz 2 mit der FPÖ eintritt und sich als stärkste Partei im Mitte-links-Spektrum und somit als einzige Herausforderin der bisherigen Regierung positioniert, bleibt unerklärlich. Denn nur so könnte die SPÖ taktische Wähler samt Leihstimmen von Grünen, Neos und aus dem Nichtwählerlager ansprechen. Aber auch das geht bisher, wie so vieles im ­verkorksten roten Wahlkampf, schief.

Spannend könnte es eventuell noch dann werden, wenn Kurz im Finale um Leihstimmen der Neos wirbt. Immerhin kommen bekanntlich viele pinke Wähler aus der ÖVP. Auch hier könnte taktisches Wählen schiefgehen. In diesem Fall desaströs für die Neos.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.