Wahl-Analyse

Wahlkampf 2019: Gar nicht fad

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Peter Pelinka zieht die Bilanz eines Wahlkampfs, der viel 
besser war als sein Ruf. Dieser Wahlkampf wird von den meisten unterschätz, meint er. 

 

Sonntag ist er also zu Ende, der Wahlkampf. Er war keineswegs besonders fad, wie einige Beobachter beckmessern. Spannend war schon der Auslöser. Das Ibiza-Video hat eingeschlagen wie eine kleine Bombe, nicht nur bei politisch interessierten Zusehern. Erste Reaktionen reichten von „Das gibt’s doch nicht“ über „Das muss gefälscht sein“ bis zum fassungslosen „Die waren offenbar wirklich so deppert“. Dieser Generalbefund wird bis heute garniert mit einigen immer wieder zitierten Details, von den angeblich schmutzigen Zehennägeln der „scharfen“ Pseudooligarchin bis zur fachkundigen Diagnose, Journalisten seien fast alle nuttig und die anderen müsse man – „Zack-zack-zack“ – aus den auf Linie gebrachten Redaktionen rausschmeißen, ebenso den größten Baukonzern des Landes mit Hans Peter Haselsteiner aus allen staatlichen Auftragsvergaben. Eine auch international viel beachtete Soap-Opera, im Netz auf ewig abrufbar. Die Konsequenzen waren entsprechend: Rücktritte der zwei Hauptdarsteller, Bruch der Koalition, Abwahl der gesamten Regierung, nun eben Neuwahl.

Entsprechend auch der Wahlkampf: Es hat wahrlich schon langweiligere Auseinandersetzungen gegeben als jene der vergangenen vier Monate. Obwohl vom Start weg feststand, wer als Erster über die Ziellinie gehen wird: der jüngste Altkanzler aller Zeiten. Er bewältigte seine Marketinglinie fast fehlerlos, kämpfte ohne neue inhaltliche Festlegungen weiter als Reformer, der von rot-blauen Neidern im Parlament brutal gebremst wurde und nun vom Volk wieder ins Kanzleramt getragen wird.

Hofer schmiegt sich zum Fremdschämen an Kurz

Die wirkliche Spannung entsteht aber erst danach: Von wem wird Sebastian Kurz wofür wirklich zum Kanzler gekürt? Dazu sind in parlamentarischen Demokratien nämlich Mehrheiten nötig, vorher Koalitionsverhandlungen. Kurz hat diesbezüglich zwar eine Präferenz klar durchklingen lassen, sich aber auf die Fortsetzung von Türkis-Blau nicht festgelegt: Noch immer steckt in Türkis ein gehöriges Maß an Schwarz, vor allem der in drei Bundesländern mit den Grünen regierenden Vertreter der „alten“ Volkspartei schmecken die Blauen gar nicht. Und auch Kurz selber die Vorstellung nicht, er könne mit ihnen wieder scheitern – dann wäre sein internationaler Ruf weg.

Die doppelköpfige Parteispitze der FPÖ versucht, solche Bedenken zu zerstreuen. Norbert Hofer schmiegt sich fast zum Fremdschämen unterwürfig ganz eng an die Volkspartei wie eine läufige Katze, bloß der bissige Kater Herbert Kickl verschont mit wilden Attacken („ÖVP unterwegs zu extremistischer Gruppierung“) auch sie nicht. Mit einigen witzigen Werbevideos und weniger witzigen Plakaten wird vor Schwarz-Grün gewarnt, was sich schon arithmetisch kaum ausgehen kann.

Aber beachtlich, wie die Blauen trotz Ibiza ihr hartes Stammfünftel halten. Zuletzt noch eine parteiinterne Aufregung: HC Strache als Spesenritter auf Kosten der Partei, 10.000 Euro monatlich, dazu noch Rechnungen für Kleidung und Wohnung? Ungeheuerlich, alles korrekt gelaufen, betont er. Blöd nur, dass 2005 gerade der neue FP-Chef Strache die Spesenregelungen seiner Vorgängerin Riess-Passer mit gewaltigem Getöse prüfen ließ, übrigens folgenlos. Besonders spannend der Zukunftsblick: Lässt die Wiener FPÖ den ihren in mehrfacher Hinsicht hinderlichen Ex-Obmann fallen, kandidiert der dann 2020 mit einer eigenen Liste?

Die Roten haben sich nach schwachem Start halbwegs gefangen, vor allem ihre Spitzenkandidatin. An Pamela Rendi-Wagner liegt es nicht, dass die SPÖ 3–4 Prozent gegenüber 2017 verlieren wird, eher am Wiedererstarken der Grünen. Etwa fünf Prozent der Kern-Wähler von damals kamen aus dem Bereich jener Grünen (und Liberalen), die im Kanzlerduell Kern gegen Kurz stärken wollten, Teile davon werden den Roten nun fehlen. Ihre Stärke in der letzten Phase des Wahlkampfes wird „Pam“ vermutlich auch nach der Wahl unantastbar machen, sie kann in den Augen der Basis nicht nur sympathisch und nett sein, sondern auch zu „Bihändern“ greifen wie zu den teilweise unbeweisbaren persönlichen Attacken gegen Kurz.

Einziges Problem für sie: Fällt die SPÖ auf Platz 3 zurück, könnte es wieder zu einer Personaldiskussion kommen. Jedenfalls bleibt die Frage offen, ob man (frau) sich im Zuge der sicher anstehenden „Sondierungsgespräche“ mit Türkis zu einer überraschenden Strategie durchringt, etwa: keine Koalition mit Kurz, aber Angebot der Tolerierung einer von ihm geführten Minderheitsregierung unter inhaltlichen Auflagen?

Bleiben die zwei kleineren Parteien, deren gemeinsamer Wähleranteil so groß sein wird wie jener der beiden rot-blauen mittelgroßen Parteien. Werner Kogler hat die größte Anstrengung hinter sich gebracht, er hat gerade im EU-Wahlkampf die Grünen gerettet, sie nun auch wohl wieder stark in den Nationalrat geführt. Sicher profitieren sie politisch von der Klimakrise, aber verdient: Was anderen erst in den letzten Wochen auffiel, haben sie jahrelang thematisch bearbeitet. Und Beate Meinl-Reisinger hat es in relativ kurzer Zeit geschafft, ihren Vorgänger, den sympathischen Matthias Strolz, vergessen zu machen. Sie war die größte Überraschung des Wahlkampfes, oft angriffslustig, aber nie untergriffig.

Sie profitierte auch von der großen Dichte der TV-Debatten, im ORF wie bei den Privatsendern, von den Dutzenden Duellen (meist aufschlussreicher) und den wenigen „Elefantenrunden“ (relativ langweilig, weil vorhersehbar). Wen das aufregt oder fadisiert, sollte sich die hohen Zuseherquoten ansehen – ein Rekord jagte den anderen. Sie wurden auch inhaltlich gut nachbearbeitet, in den elektronischen Medien wie im Print. Einsame Spitze: Als Peter Filzmaier im Dialog mit Armin Wolf in den angebotenen Schlagsack unter dem Moderationstisch kroch – so unterhaltsam kann „Infotainment“ sein. Natürlich: Wichtige Zukunftsthemen kamen zu wenig zur Sprache, etwa im Bildungsbereich. Aber: So viel Aufmerksamkeit hat ein Wahlkampf noch nie erregt, die könnte man ab dem 30. 9. (realistisch: ab dem Regierungsstart Mitte Dezember) ja nutzen.

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