Experte Thomas Hofer

Polit-Analyse: Pest, Cholera - oder doch Ebola?

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Thomas Hofer über den eigentlichen Wahlkampfstart, und warum es erst nach dem 29.9. wirklich spannend wird.

Immer dann, wenn Petitessen dominieren, weiß man: So richtig was los ist im Wahlkampf (noch) nicht. Zuletzt war das schön zu beobachten. Das Match der Woche lieferten sich ÖVP und FPÖ, und zwar darüber, wer von wem welchen Slogan abgekupfert hat. Auf einem Plakat von Sebastian Kurz steht: „Einer, der unsere Sprache spricht.“ Herbert Kickl hatte dasselbe Wording schon Tage davor über die sozialen Netzwerke verbreitet. Da hätte sich, so der FPÖ-Vorwurf, die ÖVP – zack-zack-zack – bei den Freiheitlichen bedient.

Rendi musste ungünstig in den Wahlkampf starten

Blauer Übervater Haider. Nun: Solche Plakate haben einen ziemlichen Vorlauf, so schnell schießt man auch in der ÖVP nicht. Es spricht einiges dafür, dass die FPÖ von der ÖVP-Kampagnenlinie Wind bekam und diese geschickt konterkarierte. Eine gewisse moralische Berechtigung dazu hätte die FPÖ sogar, denn als Erster verwendete den Slogan vor vielen Jahren der freiheitliche Übervater Jörg Haider.

Für die Wähler sind solche Themen nicht relevant

Kurz wurde zurückgehalten. Die wirklich wichtige Frage ist: Sind Themen wie diese relevant? Natürlich nicht. Mit solchen Kinkerlitzchen beschäftigen sich Parteisekretariate, Journalisten und Kommentatoren, die Wählerinnen und Wähler wohl weniger. Und die Wahrheit ist, dass der Wahlkampf in den kommenden Tagen erst so richtig losgeht. Sebastian Kurz war bislang, von der ÖVP lange zurückgehalten, damit ihm nicht wie im Wahlkampf 2017 gegen Ende hin ein wenig die Luft ausgeht, nicht so richtig auf der medialen Bildfläche. Nun geht auch er in die ersten großen Interviews und TV-
Duelle.

Rendi zuletzt verbessert. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zeigte sich zuletzt verbessert – und man darf gespannt sein, wie sie es in den Konfrontationen anlegt.

Dass es an der Spitze eng wird, ist unwahrscheinlich

Abstand kann kleiner werden. Dass es an der Spitze noch eng wird, ist (Stand heute) aber fast auszuschließen. Vielleicht gelingt es SPÖ und

oder FPÖ noch, den Abstand zur ÖVP zu verkleinern. Aber eine Aufholjagd, von der manche träumen, ist ohne Wahlkampfknaller von der „Güteklasse“ Ibiza kaum denkbar. Der Intensivwahlkampf wird hart und intensiv, klar. Aber die wirklich spannende Frage wird nach dem 29. September beantwortet: Mit wem will der programmierte Wahlsieger Kurz koalieren?

Für die ÖVP ist Ergebnis 
von 35 % realistisch

Erwartungshaltung war hoch. Nun ist es dafür nicht egal, wo die ÖVP zu liegen kommt. Nach dem Umfragehoch rund um den Misstrauensantrag Ende Mai ist die Erwartungshaltung in lichte Höhen geklettert. Ein ÖVP-Ergebnis wie 2002, als die FPÖ implodierte, ist allein aufgrund der besseren Aufstellung der FPÖ kaum drinnen. Da müssten sie sich schon – und sie werden trotz interner Differenzen den Teufel tun – in zwei Wochen auf dem Parteitag erneut zerfleischen. Für die ÖVP erscheint derzeit ein Ergebnis um die 35 Prozent also realistischer.

Noch einmal Neuwahl kann sich Kurz nicht leisten

Koalieren wird schwieriger. Selbst wenn es ein wenig mehr wird: Einfach wird die Koalitionsbildung nicht. Wie im Mai hat Kurz die Wahl zwischen Pest, Cholera – und vielleicht noch Ebola. Seine Prämisse muss lauten, dass er eine stabile Regierung für fünf Jahre bildet. Noch einmal Neuwahlen kann auch er sich nicht leisten. Mit der FPÖ gibt es inhaltlich die größte Schnittmenge. Aber kann Norbert Hofer fünf Jahre Ruhe in seinen Reihen garantieren? Wohl kaum.

Mehrheit mit den Grünen wäre zu dünn und instabil

Unrealistische Variante. Bleibt für Kurz eventuell die Option mit den Grünen. Die FPÖ warnt davor, um zur ÖVP abwandernde Wähler zurückzuholen. Realistisch ist die Variante nicht. Selbst wenn es eine Mehrheit gäbe, sie wäre wohl zu dünn, um stabil zu sein. Und Kurz will sich ein paar grünen Abgeordneten aus Wien nicht ausliefern. Die Dreierkoalition mit Grünen und Neos hat den Charme, dass Kurz seine Veränderungserzählung behält. Und es wäre eine „Koalition der Sieger“.

Aber ist sie zu managen? Die von Kurz so geliebte Botschaftskontrolle müsste er sich, abgesehen von allen inhaltlichen Bruchlinien, abschminken.

"Große" Koalition wäre
interner Stimmungskiller

Immer häufiger diskutiert. Bleibt eine Option, die in der ÖVP die unbeliebteste ist, aber immer häufiger diskutiert wird: jene mit der SPÖ. Eine „große“ Koalition, diesmal unter türkis-schwarzer Führung, wäre ein interner Stimmungskiller.

Schaden für Juniorpartner. Und das Wort „Veränderung“ müsste Kurz aus seinem Wortschatz streichen. Aber einige in der ÖVP wissen auch, dass eine solche Variante (siehe Deutschland) vor allem dem Juniorpartner schadet. Und dann rechnen sie noch, dass bei der FPÖ in Opposition der Machtkampf losgeht. Hoffnungsfroh ist Kurz dieser Tage aber nicht: Egal, welche Option diskutiert wird, gegen jede spricht mehr, als für sie spricht.

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