Wahl-Analyse

Die Bilanz vor dem Finale

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Meinungsforscherin Sophie Karmasin erklärt, wie die Nationalrats-Wahl läuft. 

Dr. Sophie Karmasin (Karmasin Research & Identity) ist Meinungsforscherin und politische Beraterin. Für ÖSTERREICH analysiert sie den Wahlkampf:

Kurz: Geschickt, auch wenn es in ihm kocht

Nur ein kleines Detail zeigt, wie geschickt und voraus­blickend er agiert. Im Sommergespräch mit Tobias Pötzelsberger hat er von sich aus seine Speiseröhren-Erkrankung angesprochen. Damit hat er gleich verhindert, dass ihm so etwas passiert wie Frau Rendi-Wagner mit dem Salatblatt – denn natürlich ist es in diesem Sommer allen aufgefallen, dass er abgenommen hat. Er hat sich damit gleich als Mensch präsentiert und den Kanzler-Nimbus rausgenommen.

Im Gespräch selbst hat er gut reagiert. Bei bestimmten Fragen hat man ihm zwar angemerkt, wie es in ihm gebrodelt hat, doch er hat sich gut beherrscht. Bei den Parteispenden ist es ja nicht einfach, eine hundertprozentig schlüssige Antwort zu finden. Bei der Geschichte mit der doppelten Buchführung ist es ihm ganz gut gelungen, die große Aufregung zu verhindern, indem er die Schuld den Parteien zugeschoben hat, die im Parlament seinem Gesetzesvorschlag nicht gefolgt sind. Taktisch gescheit war es auch, die Neos zu loben und mit einzubeziehen. Das hat sich dann in der Elefantenrunde fortgesetzt, man merkt ihm halt an, dass eine Koalition mit den Neos sein Wunsch wäre – auch wenn sie aus heutiger Sicht unrealistisch ist.

Für die Gesamt-ÖVP ist die Geschichte mit der doppelten Buchführung besser, wenn sie auf einem Hacker-Angriff beruht, als dass es ­einen Spitzel in den eigenen Reihen gibt. So etwas schafft eine große Unsicherheit.

Von der Erzählung her liegt man in der ÖVP mit der Linie richtig: Lasst uns die Arbeit fortsetzen. Aber wenn man aus strategischen Gründen nicht „Wir wollen weiterarbeiten, aber ohne FPÖ“ sagen kann, sollte man nach der Zahnbürstlgeschichte und der Mischkultur zumindest Stellung beziehen.

Rendi: Gut in Form, doch
viel zu viele Botschaften

Pamela Rendi-Wagner macht es weiter sehr gut, sie hat nach ihrem Sommergespräch mit Tobias Pötzelsberger sehr an Professionalität zugelegt. Angesichts der ständigen Querelen und auch Querschüsse aus den eigenen Reihen liefert sie eine beachtliche Performance. Auch bei der Elefantenrunde war sie gut in Form.

Das Einzige, was ich hier zu kritisieren habe, ist, dass ihre Botschaften zu zersplittet sind. Das ist ja fast wie ein ganzes Parteiprogramm, was da präsentiert wird. Viel zu viele Bulletpoints, die einen sagen gar nichts, die ­anderen zu viel. Es ist nicht wirklich fassbar, was die SPÖ wirklich will. Früher hat man ihr vorgeworfen, dass sie zu wenig sozialdemokratisch ist – jetzt übertreibt man es. Man packt die ganzen alten Kamellen aus von Mindestlohn über Erbschaftssteuer bis zum Recht auf die 4-Tage-Woche. Das Feinste vom Feinen aus der sozialdemokratischen Mottenkiste halt. Es ist zwar in sich stimmig, aber zu bemüht und zu viel. Deshalb glaube ich nicht, dass draußen jemand sagen kann, wofür die SPÖ inhaltlich steht. In der Konfrontation mit Kickl hat sie sich gut geschlagen: bestimmt, klar und angriffig. Sie konnte ihre Metabotschaften sehr gut unterbringen: Wir sind menschlich und kämpfen wirklich für die ArbeitnehmerInnen.

Hofer: Intern brodelt es 
offensichtlich in der FPÖ

Der Hofer will jetzt Durchgriffsrechte. Offenbar brodelt es in der FPÖ intern so kräftig, dass es EINEN klaren Entscheider geben muss – ich dachte, es gibt eine Doppelspitze. Wie stark der Kickl ist, hat man ja bei der Dis­kussion auf oe24.TV mit dem Neos-Kandidaten Helmut Brandstätter gemerkt. Da war der Herr Kickl ja in Höchstform, rhetorisch-­argumentativ extrem gut drauf, aber auch Untergriffe am laufenden Band. Er hat ja Brandstätter richtig niedergemacht. Bei dem Armen hatte man das Gefühl: Der will nur noch raus.

Die Entgleisungen der vergangenen Woche, also das Zahnbürstl und die Mischkultur, haben der FPÖ bei den Stammwählern sicher nicht wehgetan. Aber wenn sie auch nur einen Prozentpunkt über ihre Stammwählerschaft kommen wollen, schadet das natürlich. Jeder, der zwischen Hofer und Kurz schwankt, wird nach solchen Sagern auf die Kurz-­Seite fallen.

Kogler: Bleibt er authentisch,
wachsen Grüne weiter

Werner Kogler wirkt einfach mit seinen Argumenten auch weiterhin authentisch und kompetent. Die Klimawandel-Problematik arbeitet ihm zweifellos zu. Wenn Kogler seine Forderungen und sein Programm nicht zu sehr überzieht, wird das eine einfache Angelegenheit für die Grünen.

Derzeit ist die Tendenz jedenfalls eher steigend als fallend, für die Grünen sind sogar mehr als 12 Prozent drin. Stichworte: Korruption, Schreddern, rechter Rand, Spendengeschichten – alles, was die Politikverdrossenheit im Land erhöht, das können die Grünen für sich buchen.

Meinl: Thematisch sind Neos gut aufgestellt

Beate Meinl-Reisinger und ihre ganze Partei sind thematisch immer gut vorbereitet. Präzise, es ist nicht zu viel, nicht zu wenig, die Argumente bleiben hängen, sind griffig.

Meinl-Reisinger argumentiert beim Thema Bildung sehr gut, indem sie erklärt, dass Bildung das Fundament für alles ist. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Neos und das bringen sie gut rüber. Ihr Problem ist, dass viele ­taktisch wählen und bei den Neos nicht annehmen, dass sie regieren werden. Das könnte ihnen schaden. Und beim Brandstätter kennt man sich nicht aus, was er für die Neos sein soll. Deshalb glaube ich nicht, dass er für die Neos punkten kann.

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