Wahl-Kommentar

Es geht um den Vizekanzler!

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Ex-FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler in seinem Kommentar über den Wahlkampf.

Wir haben einen Wahlkampf erlebt, den niemand gebraucht hat. Wer hat ihn uns eigentlich zugemutet? Sebastian Kurz hat mit seinen Türkisen bereits Anfang des Jahres Vorbereitungen für eine „plötzliche“ Neuwahl getroffen.

Zu gut lag man in den Umfragen, zu verlockend war es, den reüssierenden Koalitionspartner wieder einmal zu düpieren und die schwächelnden anderen Parteien am falschen Fuß zu erwischen. Ausbau der eigenen Macht ist die wichtigste politische Maxime der ÖVP. Ibiza war nur willkommener Anlassfall, um zum zweiten Mal in zwei Jahren eine Regierung zu sprengen.

Ziel: 40-%-Marke deutlich überspringen und mit willfährigen Haselsteiner-Neos eine Fast-Alleinregierung zu bilden. Doch meistens kommt es anders. Je länger der grausliche und inhaltsleere dahinsiechende Wahlkampf dauerte, umso mehr durchschauten viele das Machtspiel der Kurz-Türkisen. War die ÖVP im Mai noch bei 38 %, weisen die letzten Umfragen nur noch 34 % auf. Die Abwahl im Parlament, viele Schnitzer, Gebetsliga, Schredderaffäre, Hackergate, Parteischulden, Überheblichkeit u. v. m. holten die Türkisen aus ihren Träumen in die Realität zurück.

Warum ein engagierter, unbescholtener Innenminister Kickl von Kurz mit so viel Hass vor die Tür gesetzt wurde, kann bis heute niemand erklären. Fazit: Verantwortlich für diese unnötige Wahl ist die ÖVP. Sie hat ohne Not eine gut ­arbeitende, beliebte Regierung gesprengt.

Kurz könnte daraus lernen, nicht mehr auf jene zu hören, die ihm dieses Schlamassel eingebrockt haben. Trotzdem wird Türkis dazugewinnen, obwohl erster Platz und Kanzler fix sind. Es ist völlig egal, ob Kurz 34, 35 oder 37 % bekommt. Entscheidend ist, wer dahinter Platz zwei und die Poleposition für den Vizekanzler hat.

Erstmals in der Geschichte findet am Sonntag keine Kanzlerwahl, sondern eine Vizekanzlerwahl statt. Es geht darum, wer künftig mit Kurz regiert und in welcher Stärke. Die FPÖ hat trotz schwierigster Ibiza-Ausgangslage, trotz geballter Medienmacht gegen sie (inkl. ORF und Krone) und eine noch schnell lancierte „Spesenaffäre“ einen strategisch durchdachten Wahlkampf geführt. Mit Norbert Hofer, der schon mehrmals von jedem zweiten Österreicher gewählt wurde, und Herbert Kickl, der von Kurz selbst zum wahren Märtyrer dieser Wahl stilisiert wurde, steht ein erfahrenes, sich selbst ergänzendes Duo zur Wahl, das für eine Überraschung gut ist. Ibiza und seine Folgen, aber auch so mancher durchgeknallte Funktionär haben objektiv die Chancen auf Platz 2 für die FPÖ beschädigt, aber sie sind intakt. Die Warnung vor dem Horror Türkis-Grün bindet Blauwähler an ihre politische Heimat.

Kaum Chancen auf einen Erfolg sehen Experten für die SPÖ. Zu viel ging schief. Eine Spitzenkandidatin, der man Engagement und Sympathie nicht absprechen kann, die jedoch über weite Strecken den Eindruck vermittelte, als diene der Wahlkampf der Schulung einer Politanfängerin.

Sie versprach jedem alles und hat sich dabei oft versprochen. Wer alles zahlen soll, sagte sie aber nie. Bei den TV-Diskussionen merkte man Rendi-Wagners Lücken: Sobald es sachlich in die Tiefe ging, wandelte sie mangels inhaltlicher Trittfestigkeit am Rande zur Peinlichkeit.

Dazu wählte man mit dem, angesichts der fatalen Umfragen hilflos wirkenden, Ausrufen einer nicht vorhandenen Kanzlerwahl die falsche Strategie. Entscheidend wird, wie stark die SPÖ Richtung Grün ausrinnt. Hier fehlte die Gegenstrategie. Nicht einmal der „Elfmeter“ des grünen Korruptionsskandals wurde genutzt. Grüne Leihstimmen aus 2017 werden sich daher wieder verabschieden. Bleibt abzuwarten, ob der grausliche Korruptionsskandal der Wiener Grünen rund um dubiose Bauwidmungen, von der Staatsanwaltschaft verfolgt, nicht im letzten Moment den Grünen in die Parade fährt. Immerhin haben Kogler und Co. in Sachen Korruption ihre politische Unschuld verloren und werden vom Skandal rund um ihren einstigen Chef Chorherr ins Mark getroffen. „Seht her, die Grünen sind doch auch nur so wie alle anderen“, hört man jetzt. Nach dieser unnötigen Wahl wird ein altes Sprichwort bestätigt, welches diesen „Wahlkrampf“ charakterisiert: „Außer Spesen nichts gewesen.“

Mein Wahltipp: ÖVP 35–37 %. SPÖ: 21–23 %. FPÖ: 21–23 %. Grüne: 9–11 %. Neos: 5–7 %. Jetzt: 3 %.

 

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