"Humanitären Krise"

100.000 Menschen fliehen aus Libyen

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Die Gewalt in Libyen sorgt für eine beispielslose Evakuierungswelle.

Vor dem Hintergrund der Unruhen in Libyen sind in der vergangenen Woche fast 100.000 Menschen in die Nachbarländer geflohen. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Genf teilte am Sonntag mit, es handle sich überwiegend um Ausländer, allen voran um Tunesier und Ägypter. Auch Zehntausende Gastarbeiter aus Asien versuchen das Land zu verlassen. Aus Österreich halten sich nach aktuellem Stand noch 23 ausreisewillige Staatsbürger in Libyen auf.

"Humanitäre Krise"
Einsatzkräfte des UNHCR arbeiteten mit den tunesischen und ägyptischen Behörden sowie Nichtregierungsorganisationen zusammen, um die Menschen zu unterstützen, die vor der Gewalt in Libyen geflüchtet seien, so das UNHCR. Die Organisation Roter Halbmond sprach angesichts der vielen Flüchtlinge von einer "humanitären Krise".

Vor allem Ägypter
Allein am Samstag seien mehr als 10.000 Menschen aus Libyen über den zentralen Grenzposten Ras Jedir nach Tunesien geflohen. Die meisten Flüchtlinge seien Ägypter. Binnen einer Woche hätten 40.000 Menschen in Ras Jedir die Grenze überquert, 15.000 von ihnen Ägypter. "Die Aufnahmekapazitäten sind erreicht, die Menschen schlafen draußen", sagte der Präsident des örtlichen Komitees vom Roten Halbmond, Mondshi Slim. "Die ganze Welt muss aktiv werden, um Ägypten dabei zu helfen, seine Landsleute heimzuholen", sagte Slim.

Die chinesische Regierung hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 16.000 Staatsbürger in Sicherheit gebracht. Die meisten seien auf dem Seeweg evakuiert worden, meldete die Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Peking. Nach griechischen Medienberichten trafen am Wochenende rund 5.000 Chinesen mit Fähren auf der Insel Kreta ein. Weitere würden erwartet. Die Flüchtlinge werden den Berichten zufolge auf Kosten Chinas untergebracht und verpflegt. Nach zwei bis drei Tagen Aufenthalt sollen sie mit Sondermaschinen in die Heimat geflogen werden.

Evakuierungsaktion
Auch Indien hat inzwischen eine großangelegte Evakuierungsaktion für rund 18.000 Landsleute gestartet. In der Hauptstadt Neu Delhi landeten am Sonntag die ersten beiden Sondermaschinen aus Tripolis mit mehr als 500 Indern an Bord. Nach Regierungsangaben soll die libysche Hauptstadt in den nächsten eineinhalb Wochen zweimal täglich angeflogen werden, um weitere Menschen aus dem Land zu bringen. Am morgigen Montag soll ein Passagierschiff in der Hafenstadt Benghazi 1.200 Inder an Bord nehmen. Wie die Regierung mitteilte, wurde ein zweites Schiff für 1.600 Passagiere gechartert. Zudem stachen am Samstag in Mumbai zwei Kriegsschiffe ein Richtung Libyen in See.

In Bangladesch warfen unterdessen Hunderte Angehörige von Gastarbeitern der Regierung bei einer Kundgebung vor, sich zu wenig für die Landsleute in Libyen einzusetzen. Nach jüngsten offiziellen Angaben halten sich mehr als 60 000 Menschen aus Bangladesch in dem Krisenland auf. Das Außenministerium erklärte am Sonntag, der Einsatz von Kriegsschiffen und Sondermaschinen werde geprüft. Gleichzeitig erging ein Aufruf an die Arbeitgeber der Betroffenen, zumeist Unternehmen aus Südkorea und China, bei der Evakuierung zu helfen.

Europäer verlassen das Land
Deutschland, Großbritannien und Frankreich flogen am Samstag mit Militärmaschinen Hunderte Ausländer aus Libyen aus. Die deutsche Bundeswehr schickte etwa von der griechischen Insel Kreta zwei "Transall"-Maschinen in das Landesinnere. Die britische Luftwaffe brachte etwa 150 Ölarbeiter mit zwei "Hercules"-Maschinen nach Malta. Nach Schätzungen des deutschen Außenministeriums befinden sich noch etwa 100 Deutsche in Libyen. Das Außenministerium in London geht davon, dass nur noch wenige Briten in den Städten Tripolis und Benghazi verblieben sind. In abgelegenen Wüstengegenden werden noch 300 Briten vermutet. Wegen der Gewalt in Libyen haben inzwischen zahlreiche Länder ihre Botschaften in Tripolis geschlossen. Etwa 1.400 Italiener haben Libyen verlassen. Wie das italienische Außenministerium am Sonntag in Rom mitteilte, verbleiben nur noch "einige Dutzend" Italiener in Libyen. Sie sollen in den nächsten Tagen zurückgeholt werden.

Am gestrigen Samstag konnte vier weitere Österreicher aus Libyen über den See- bzw. Landweg ausreisen. Das sagte Außenministeriums-Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal der APA am Sonntag auf Anfrage. Insgesamt wurden seit Beginn der Unruhen demnach 155 ausreisewillige Österreicher aus Libyen evakuiert. Man versuche, die Ausreisewilligen einerseits auf Flügen von Tripolis unterzubringen, andererseits sei man bemüht, die verbliebenen Österreicher "regional zusammenzufassen" und in Gruppen aus dem Land zu bringen.

Zur Frage einer möglichen Flüchtlingswelle aus Libyen nach Europa, meinte Innenministerin Maria Fekter (V) am Sonntag in der Pressestunde des ORF-Fernsehens diesbezüglich genannte Zahlen seien "spekulativ". Sie erwarte nämlich nicht, dass Gastarbeiter aus Nachbarländern Libyens wie Tunesien oder Ägypten nach Europa drängten. Sollte es aber zu Vertreibungen der eigenen Bevölkerung in Libyen kommen, "dann sind wir gefordert", sagte die Innenministerin. EU und Österreich seien jedenfalls "gut vorbereitet". Sollte Österreich libysche Flüchtlinge aufnehmen müssen, so seien 5.000 bis 6.000 "überhaupt kein Problem".

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