Zuflucht bei 'Piraten'

Agenten-Krieg um WikiLeaks-Chef Assange

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Geheimdienste jagen Julian Assange. Doch der chattet mit Internet-Usern.

Der Krimi um den WikiLeaks-Chef wird immer bizarrer: Die Polizei sucht ihn, er chattet.

Vielleicht hat er nichts mehr zu verlieren – oder er zeigt enorme Nervenstärke: Während sich die Londoner Polizei auf seine Verhaftung vorbereitete, chattete WikiLeaks-Gründer Julian Assange (39) auf der Webseite des Britenblattes The Guardian mit Bürgern aus aller Welt. 826 Fragen gingen an den Weltaufdecker ein, der mit der Veröffentlichung explosiver US-Depeschen den größten ­Diplomatenskandal aller Zeiten auslöste.

Im Untergrund
Der Aus­tralier, der sich als intellektueller Anarchist sieht, antwortet langatmig, geduldig. Er sendet aus dem Untergrund, irgendwo im Großraum London hält er sich versteckt. Seine Anwältin Jen Robinson verteidigt das Versteckspiel, da er sich in „Lebensgefahr“ befinde.

Scotland Yard erhielt nach Ausräumung letzter juristischer Fragen inzwischen einen Haftbefehl. ­Assange wird wegen möglicher Sexverbrechen in Schweden gesucht.

Aber auch seine Web-Operation musste einen neuen Schlag verkraften: Die US-Firma EveryDNA, die Internetadressen vergibt, sperrte den Zugang für WikiLeaks.org, angeblich wegen „Hacker-Angriffen“.

Unter Druck
Wahrscheinlicher ist aber: US-Politiker setzen US-Firmen unter Druck, die Geschäftsbeziehungen zu „Verräter“ Assange zu kappen. Derzeit ist WikiLeaks nur über eine Schweizer Web-Adresse erreichbar. Eigentümer ist die Schweizer Piratenpartei (PPS), die sich für Informationsfreiheit einsetzt. „Wir wollten unsere Unterstützung für das Projekt zeigen“, so Sprecher Pascal Gloor. Die Partei stellt jedoch nur den Namen bereit, die brisanten Inhalte liegen weiter beim Stockholmer Provider „Bahnhof“, der – wie in einem James-Bond-Film – die Server in einem Atomschutzbunker untergebracht hat.

WikiLeaks hat bisher 667 von 250.000 Depeschen auf seine Website gestellt, täglich kommen im Schnitt hundert neue hinzu.

Agenten auf der ganzen Welt jagen den Datenspion, fürchten muss Assange aber nur schwedische Staatsanwälte: Im August 2010 hatte er in Stockholm Sex mit zwei Helferinnen. Die Frauen sprechen von „Sex ohne Kondom“. Assange bezeichnet die Schwedenklage als Verschwörung. Doch der Anwalt der beiden Opfer verneint politische Motive: „Sie wurden missbraucht und gingen zur Polizei.“

WikiLeaks-Chef im Live-Chat
Die britische Zeitung The Guardian hatet Julian Assange zum Chat geladen. Die wichtigsten Ansagen.

826 Fragen schickten die Leser der britischen Zeitung The Guardian an WikiLeaks-Chef Julian Assange (39). Einen Teil davon beantwortete der geheimnisvolle Australier Freitagnachmittag in einem Live-Chat.

FRAGE: Tom Flanagan, ein Berater des kanadischen Premiers, forderte, dass Sie „beseitigt“ werden sollen. Wie gehen Sie damit um?
Julian Assange: Ich denke, dass Mr. Flanagan und die anderen, die solche Aussagen treffen, wegen Anstiftung zum Mord verklagt werden sollten.

FRAGE: Gibt es eine zweite Reihe an Aktivisten, die die Kampagne weiterführen würden?
Assange: Das Cablegate-Archiv ist zusammen mit bedeutendem Material aus den USA und anderen Ländern an 100.000 Menschen verschlüsselt übermittelt worden. Wenn uns irgendetwas geschieht, werden die wichtigsten Teile automatisch veröffentlicht. Außerdem sind die Cablegate-Archive in der Hand verschiedener Nachrichtenorganisationen. Die Geschichte wird siegen. Die Welt wird eine bessere werden. Werden wir überleben? Das liegt an euch.

FRAGE: Hätten Sie jemals gedacht, dass Ihre Veröffentlichungen so große Auswirkungen in der ganzen Welt haben würden?
Assange: Ich habe immer daran geglaubt, dass WikiLeaks eine globale Rolle spielen würde und es war auch einigermaßen klar, dass es eine derartige Rolle spielen würde (…). Ich dachte, es würde zwei Jahre dauern, nicht vier, bis andere diese wichtige Rolle erkennen würden. Also sind wir etwas hinter unserem Zeitplan und haben noch viel Arbeit zu tun.

FRAGE: War es ein Fehler, Wiki­Leaks ein Gesicht zu geben?
Assange: Ursprünglich hab ich hart dafür gearbeitet, dass die Organisation kein Gesicht hat, damit Egos keine Rolle in unserer Arbeit spielen. Das führte zu umso größerer Neugierde Wiki­Leaks gegenüber und einige zweifelhafte Figuren meldeten sich und behaupteten, Repräsentanten von WikiLeaks zu sein. Schlussendlich muss jemand für die Öffentlichkeit greifbar sein und sich für das große Gute opfern. Ich habe diese Position übernommen.

FRAGE: Haben Sie auch Dokumente über UFOs bekommen?
Assange: Ich habe viele E-Mails von Menschen bekommen, die an UFOs glauben. Aber alle diese Mails haben unsere Regeln für das Veröffentlichen nicht bestanden: (1) Die Dokumente dürfen nicht selbst geschrieben sein und (2) die Dokumente müssen Originale sein.

FRAGE: Sind Sie Journalist?
Assange: Ich schreibe, seit ich 25 Jahre alt bin, Bücher, Reportagen, für Zeitungen und fürs TV. Ich schreibe und recherchiere immer noch, aber meine neue Hauptaufgabe ist das Veröffentlichen anderer Autoren.

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