Live aus London

Briten jetzt auf Brexit-Kurs

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Das plant Boris Johnson nach dem Erdrutschsieg. ÖSTERREICH-Report aus London.

London. Kurz nach 11 Uhr fuhr ein sichtlich aufgekratzter Boris Johnson gestern nach einer – ebenso ersichtlichen – kurzen Wahlnacht vor dem Buckingham Palace vor. Dort plauderte der Tories-Wahlsieger mit der Queen über seinen Wahltriumph. Er führte aus, wie er Großbritannien nun am 31. Jänner aus der EU führen wird. Öffentlich gelobte der konservative Populist, der massenweise Arbeiterwähler für sich gewinnen konnte, dass er „das erhaltene Vertrauen nicht enttäuschen“ werde.
 
Erdrutsch. Der einstige Londoner Bürgermeister hat bei den Parlamentswahlen Donnerstagnacht den größten Erfolg der Tories im Unterhaus seit Margaret Thatcher eingefahren. 365 Sitze hat seine Partei nun, die ab jetzt voll auf „Boris- und Brexit-Kurs“ sein wird.
 

Briten wollten das »Brexit-Theater« rasch beenden

Immerhin hatte er mit seinem Slogan „Get Brexit done“ die Stimmung im Königreich perfekt getroffen. „Seit drei Jahren geht dieses Theater schon. Wir wollen das hinter uns bringen“, sagen denn auch einige Briten ÖSTERREICH. Er habe mit „Lügen und Dank des unbeliebten Jeremy Corbyn“ die Wahl gewonnen, urteilte gestern hingegen die angesehene Tageszeitung The Guardian.
 
Die rote Mauer – die einstigen Kerngebiete von Labour – brachte der geübte Wahlkämpfer und einstige Kolumnist Johnson zum krachenden Einsturz. Im Unterschied zu London – in der Hauptstadt wählte die Mehrheit „trotz Corbyn Labour“ – wollten die früheren Industriegebiete den Ausstieg aus der EU und fürchteten den „Marxismus“, der mit Corbyn einziehen würde, wie eine Kampagne der Konservativen fruchtete. Diese brachte freilich auch viele moderate Konservative dazu, doch Johnson zu wählen. „Alles nur nicht Corbyn“, erklärte gar Taxifahrer Joe ÖSTERREICH.
 

Wahlnacht feierte Boris mit seiner jungen Freundin

 
Für Corbyn (siehe Kasten unten) war das seine letzte Wahl. Während Johnson mit seiner Freundin Carrie Symonds die Wahlnacht feierte, zeigte sich der 70-jährige Corbyn völlig verbittert und wortkarg. Kommende Woche will Johnson den EU-Ausstiegsvertrag im Unterhaus abstimmen lassen. Die Mehrheit ist ihm nun sicher. Ende Jänner wird Großbritannien dann offiziell Adieu zu Brüssel sagen. Das Rendezvous mit der Realität wird Johnson spätestens dann erwarten. Genauso wie seine neuen Wähler aus den einstigen Industriehochburgen, die er „nicht vergessen will“.
 

Corbyn, der Totengräber der Linken

 
Er war der Rockstar der Linken: Bei der Wahl stürzte Jeremy Corbyn (70) fürchterlich ab.
 
Corbyn
© Getty Images
 
London. „Jetzt ist es vorbei mit Jeremy Corbyn“, erklärten Labour-Mandatare noch in der Wahlnacht. Der umstrittene Labour–Parteichef, der zwar Teile der Jugend begeistern konnte, hat im großen Stil rote Kernwähler verloren und seinen Abgang nun bereits angekündigt. Er erzielte das schlechteste Ergebnis für Labour seit 1935.
 
SPÖ-Vorbild. Corbyn, der auch von Teilen der SPÖ bewundert wurde, war der „Glücksfall für Boris Johnson“, urteilte etwa die Times gestern. Er hatte keine klare Pro-EU-Haltung, sondern seit 2017 nur ein Jein-Gewurschtel gegenüber dem Brexit.
 
Corbyn, der als Bewunderer von Ex-Venezuela-Dikatator Hugo Chávez gilt, hatte zudem einen schlampigen Umgang zu Antisemitismus und Programmen, die von seinen Gegnern als „marxistisch“ eingestuft wurden. Tatsächlich wollte er einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent einführen, 50.000 neue Lehrer anstellen und das öffentliche Gesundheitssystem ausbauen. Corbyns Hauptproblem war freilich seine „mangelnde Glaubwürdigkeit, sein fehlendes Charisma und seine Sturheit“, urteilte der Guardian.
 
Isabelle Daniel
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