Schlimme Vorwürfe

EU-Afghanistan-Deal: "Wurden gezwungen, Glas Gift zu trinken"

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Eine Aktivistin lässt kein gutes Haar an dem vor 5 Monaten geschlossenen Deal.

Vor rund fünf Monaten unterzeichneten die EU und Afghanistan ein Rücknahmeabkommen, das die Regierung in Kabul verpflichtet, nicht aufenthaltsberechtigte afghanische Asylwerber wieder aufzunehmen. "Wir wurden gezwungen, ein Glas Gift zu trinken", soll ein Minister den Deal kommentiert haben, erzählt die afghanische Menschenrechtsaktivistin Horia Mosadiq im APA-Interview.

Denn eine Wahl hatte die Regierung in Kabul nicht. "Es war eine Angelegenheit von Leben und Tod für uns, wir mussten unterzeichnen", so Mosadiq in Anspielung auf die Millionenhilfen, die die EU Afghanistan im Gegenzug versprochen hat. Bis 2020 soll das Land jährlich 1,2 Milliarden Euro finanzielle Hilfen bekommen. Auch Österreich beabsichtigt, Afghanistan in diesem Jahr mit vier Millionen Euro zu unterstützten. Ein Großteil der Mittel, die über die Austrian Development Agency (ADA) abgewickelt werden, soll in die Beratung und Hilfe für Flüchtlinge mit negativem Bescheid und freiwillige Rückkehrer fließen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Policy-Papers bezüglich Frauenrechten, Menschenrechten und ähnlichen Themen, sei der EU-Afghanistan-Deal relativ schnell implementiert worden. Vor allem aus Schweden und Deutschland habe es in letzter Zeit "Rückschiebungswellen" gegeben, erklärte Mosadiq, die seit 2008 für Amnesty International tätig ist.

Dabei habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan alles andere als verbessert: "Die Lage ist wirklich, wirklich schlecht." Tatsächlich wurde im vergangenen Jahr die höchste Zahl an getöteten Zivilisten seit 2009 verzeichnet. Mehr als 80 von 400 Bezirken sind derzeit in der Hand der radikalislamischen Taliban. Aber neben der realen physischen Gefahr, die den Rückgeschobenen in Afghanistan droht, sind diese auch starkem gesellschaftlichem Druck ausgesetzt und werden regelrecht ausgegrenzt - dies gilt insbesondere für Frauen und Mädchen.

Dass die Situation, insbesondere für Menschenrechtsaktivisten, prekär ist, bekam Mosadiq auch am eigenen Leib zu spüren. "Jedes Mal, wenn ich in Afghanistan bin, weiß ich nicht, ob ich auch lebend wieder rauskomme", schildert sie mit Tränen in den Augen. "Aber einer muss die Arbeit ja machen..."

Generell herrsche "Chaos" im Land. "Wir haben selbst 1,4 Millionen intern Vertriebene und weitere 500.000 Flüchtlinge, die aus Pakistan zurück nach Afghanistan geschickt wurden. Die Regierung ist einfach nicht fähig, mit dieser Situation umzugehen", so die Aktivistin, die 2011 vom britischen Glamour-Magazin als eine der 50 mutigsten Frauen weltweit gewürdigt wurde.

Für die Abschottungspolitik der EU zeigte Mosadiq kein Verständnis, auch deshalb, weil diese ihre Wirkung verfehle. "In Afghanistan sagen wir: Wenn man die Haustüre verschließt, werden die Leute halt durch das Fenster kommen." Die Amnesty-Mitarbeiterin plädierte deshalb auch für legale Einreisemöglichkeiten in die EU. Außerdem müsse der Westen endlich wirklich für den Frieden eintreten. "Nur darüber zu reden, wird keinen Frieden bringen", betonte die Expertin. Wichtig sei hier vor allem die Frage, woher die Extremisten ihre Waffen bezögen.

In Österreich wurden im vergangenen Jahr 1.094 afghanische Asylwerber abgeschoben - ein Großteil nach Afghanistan, der Rest in das Land, das nach der Dublin-Regelung für ihr Asylverfahren zuständig ist. Aus der Statistik lasse sich derzeit nicht herauslesen, inwieweit das Rücknahmeabkommen der EU mit Afghanistan Einfluss auf die Abschiebungen aus Österreich habe, sagte Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck auf APA-Anfrage am Montag. Mit 11.742 Asylanträgen stellten Afghanen 2016 die größte Gruppe an Asylwerbern. Nur 30 Prozent der Antragsteller erhalten derzeit einen positiven Bescheid, einem größeren Teil wird subsidiärer Schutz gewährt.
 

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