Tod in Istanbuler Konsulat

Fall Khashoggi: Zweifel an offizieller Darstellung Saudi-Arabiens

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Reporter ohne Grenzen: Rückkehr zur Tagesordnung wäre "Freibrief" zum Töten von Regierungskritikern.

Nach wochenlangem Dementi hat Saudi-Arabien eingestanden, dass der Journalist Jamal Khashoggi im Konsulat des Königreichs in der Türkei getötet worden sei. International rief die späte Erklärung des Königreichs unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) forderte Konsequenzen nach der Stellungnahme aus Riad.

"Freibrief" zum Töten von Regierungskritikern

"Jeder Versuch, nach der Erklärung wieder zur Tagesordnung übergehen zu wollen, wäre de facto ein Freibrief zum weiteren Töten von Kritikern eines Königreichs, das Journalisten inhaftiert, auspeitscht, entführt und auch ermordet", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntagsausgaben) und zog die offizielle Version der Geschehnisse im Istanbuler Konsulat in Zweifel. "Die Erklärung von Saudi-Arabien zum Mord an Jamal Khashoggi ist unglaubwürdig und wirft mehr Fragen als Antworten auf", urteilte er.

Nicht nur bleibt der Verbleib der Leiche Khashoggis ungeklärt, sondern auch die Frage, warum am Tag von dessen Tod 15 Saudiaraber in das Konsulat in Istanbul reisten. Laut Medienberichten waren darunter ein Gerichtsmediziner und vier Leibwächter des Kronprinzen Mohammed bin Salmans, von denen einer ihn wiederholt auf Auslandsreisen begleitete.

Auch die Vizechefin der türkischen Regierungspartei AKP, Leyla Sahin Usta, bewertete die Erklärung aus Riad als "nicht überzeugend" und bezeichnete das späte Geständnis eine "Schande". Es wäre wichtig gewesen, wenn Saudi-Arabien früher mit Details zum Tod des Regimekritikers an die Öffentlichkeit gegangen wäre, so Usta. Erst durch die "ernsthaften und erfolgreichen" türkischen Ermittlungen in dem Fall sei das Land "gezwungen" gewesen, Khashoggis Tod schließlich zu bestätigen.

Türkei soll alles enthüllen

"Die Türkei wird alles enthüllen, was hier vorgefallen ist", sagte AKP-Sprecher Ömer Celik am Samstag. Sein Land sehe die Klärung des Falls als "Ehrenschuld". Vorverurteilungen schloss er ebenso wie Vertuschung aus.

Die Staatsanwaltschaft in Riad hatte erklärt, der saudi-arabische Kolumnist der "Washington Post" sei bei einem Kampf mit Personen umgekommen, die er im Konsulat in Istanbul getroffen habe. Die Erklärung ließ offen, wer an Khashoggis Tod in der angeblichen Schlägerei schuld sein könnte. Türkische Medien hatten zuvor unter Berufung auf Tonaufnahmen berichtet, der bekannte Kritiker des saudischen Königshauses sei gefoltert und ermordet worden.

Trump findet amtliche Darstellung glaubwürdig

US-Präsident Donald Trump bezeichnete dennoch die amtliche Darstellung des wichtigen US-Verbündeten in Riad als glaubwürdig. Das Eingeständnis sei ein "sehr wichtiger erster Schritt", doch sei die "Überprüfung oder Ermittlung noch nicht beendet". Zu möglichen Sanktionen wollte er sich noch nicht äußern, sprach sich aber gegen die Kündigung eines riesigen Rüstungsgeschäfts mit Riad aus.

Deutlichere Reaktionen gab es aus dem US-Kongress. Während der republikanische Senator Lindsey Graham Zweifel an der Darstellung Saudi-Arabiens äußerte, forderte der demokratische Senator Bob Menendez Sanktionen gegen Saudi-Araber, die am Tod des "Washington Post"-Kolumnisten beteiligt waren. "Wir müssen den internationalen Druck aufrechterhalten", forderte er.

Saudi-Arabien ist ein wichtiger Verbündeter Trumps, der auf das Königreich setzt, um den Iran einzudämmen und seinen geplanten Nahost-Friedensplan bei den Palästinensern durchzusetzen. Kritiker werfen dem US-Präsidenten vor, mit seiner Unterstützung Kronprinz bin Salman in seiner aggressiven Außenpolitik und bei der Repression von Kritikern ermutigt zu haben.

UNO-Generalsekretär sei "zutiefst beunruhigt" über gewaltsamen Tod

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich "zutiefst beunruhigt" über den gewaltsamen Tod Khashoggis und bekräftigte die Notwendigkeit einer "unmittelbaren, gründlichen und transparenten Untersuchung" der Todesumstände. Dem schloss sich UNESCO-Chefin Audrey Azoulay an. Sie verurteilte die Tötung des saudi-arabischen Journalisten als "brutalen Mord" und forderte, die Täter müssten vor Gericht gebracht werden.

Der saudische König Salman ordnete staatlichen Medien zufolge an, den Vizegeheimdienstchef Ahmad al-Assiri und den Königshaus-Berater Saud al-Kahtani, der als rechte Hand von Kronprinz Mohammed bin Salman gilt, ihrer Posten zu entheben. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, die Ermittlungen liefen noch. 18 saudi-arabische Staatsbürger seien festgenommen worden.

Die Experten vom Forschungsinstitut Eurasia Group werteten die Erklärung zum Tod Khashoggis und die Absetzung von al-Assiri und al-Kahtani als Versuch, "den Kronprinzen von dem Mord distanzieren". König Salman ordnete zudem die Einrichtung einer Kommission unter Leitung seines Nachfolgers an, der den Geheimdienst umbauen und dessen Befugnisse "genau" festlegen soll, wie die staatliche Nachrichtenagentur SPA berichtete. Dem Urteil des saudi-arabischen Rat der höchsten Religionsgelehrten zufolge werden mit den Maßnahmen "Gerechtigkeit und Gleichheit in Übereinstimmung mit dem islamischen Recht" hergestellt.

VAE begrüßt Maßnahme im Fall Khashoggi

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) begrüßten die Maßnahmen des saudischen Königs Salman im Fall Khashoggi, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur WAM auf Twitter. Laut dem sich in saudischem Besitz befindlichen TV-Sender Al-Arabiya lobte Bahrain gleichfalls die Entscheidungen von König Salman. "Saudi-Arabien wird ein Staat des Rechts, der Werte und Prinzipien bleiben", zitierte der Sender eine offizielle Stellungnahme. Der jemenitischen Nachrichtenagentur zufolge habe sich auch der Jemen lobend geäußert.

Trump sprach von einem "guten ersten großen Schritt". Saudi-Arabien sei ein "großartiger Verbündeter". Vor der Bestätigung von Khashoggis Tod am Freitag hatte der US-Präsident nicht ausgeschlossen, dass Sanktionen verhängt werden könnten, auch wenn Saudi-Arabien ein wichtiger Verbündeter sei. Nachdem Saudi-Arabien Khashoggis Tod dann doch einräumte, sagte er während eines Aufenthalts in Arizona zu Journalisten, er glaube nicht, dass die Führung in Riad ihn angelogen habe. Was passiert sei, sei aber inakzeptabel. Er werde mit dem Kronprinzen den Fall besprechen.

Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) drückte am Samstag ihre Besorgnis über die Lage von Regierungskritikern in Saudi-Arabien ausgedrückt und nannte den Fall Khashoggi nur den "Gipfel des Horrors". Ein derart gravierender Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, auch was die Beziehungen der EU mit Saudi-Arabien anbelange. Auch SPÖ, Neos und Liste Pilz traten für Aufklärung ein und forderten die österreichische Regierung auf, aktiv zu werden.

Das britische Außenministerium teilte am Samstag mit, unter Berücksichtigung des Berichts Saudi-Arabiens "weitere Schritte" zu überlegen und verurteilte die "schreckliche Tat". Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es.

Darstellung von Saudi-Arabien kritisch betrachtet

In Deutschland zogen sowohl die Koalitionspartner als auch die Opposition die Darstellung Saudi-Arabiens zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi in Zweifel. Die SPD fordert eine "deutliche, unverzügliche und gemeinsame Reaktion europäischer Regierungen" auf das Eingeständnis Saudi-Arabiens. Der stellvertretende Fraktionsvize Mützenich forderte deutsche Unternehmen auf, die geplante Investitionskonferenz in Saudi-Arabien zu boykottieren.

Immer mehr Größen aus Wirtschaft und Politik hatten ihre Teilnahme an der Investorenkonferenz bereits in den vergangenen Tagen abgesagt, darunter US-Finanzminister Steven Mnuchin und Airbus-Rüstungschef Dirk Hoke. Der Medienkonzern Fox Business Network zog sich als Sponsor der Veranstaltung zurück. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sagte ebenfalls ab.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), bezeichnete die Tötung Khashoggis als "nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzung". Wer Regimekritiker "auslöscht", trete elementarste Menschenrechte mit Füßen. "Die internationale Staatengemeinschaft muss solchem Handeln - noch dazu auf ausländischem Boden - entschieden entgegentreten."

Der deutsche Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour forderte, nach dieser "fadenscheinigen Erklärung" müsse die deutsche Regierung "die strategische Partnerschaft mit Riad beenden und die Rüstungsexporte einstellen". Mehr Druck seitens der internationalen Gemeinschaft, um eine vollständige Aufklärung zu erreichen, verlangte FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff. Linksfraktionsvize Sevim Dagdelen sprach von "Mord" an Khashoggi und bezeichnete den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman als "Hauptverantwortlichen".

Eine Verbindung zu der Bluttat könnte dem 33-Jährigen, der als starker Mann des Wüstenstaats gilt, schaden. Laut einem mit den Ermittlungen vertrauten Vertreter Saudi-Arabiens habe der Kronprinz nichts von einem Einsatz gegen Khashoggi gewusst. Ganz sicher habe er auch keine Entführung oder Ermordung angeordnet.

Ein Vertreter einer saudi-arabischen Behörde sagte Reuters, saudi-arabische Staatsbürger hätten im Konsulat eine körperliche Auseinandersetzung mit Khashoggi gehabt. Sie hätten ihn ruhig halten wollen, dabei sei er durch einen Würgegriff gestorben.

Türkische Medien berichteten dagegen unter Berufung auf Tonaufnahmen aus dem Konsulat, Khashoggi seien bei einem Verhör die Finger abgetrennt worden. Er sei später enthauptet und zerstückelt worden. Khashoggi, der zuletzt in den USA lebte, wollte am 2. Oktober im Konsulat Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit holen. Seither galt er als vermisst.

Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgeschafft wurde. Saudi-Arabien hatte dies zunächst zurückgewiesen und erklärte, der Journalist habe das Konsulat wieder verlassen. Khashoggis türkische Verlobte Hatice Cengiz brachte bei Twitter ihre Trauer zum Ausdruck und fragte nach dem Verbleib des Leichnams.

Aus türkischen Regierungskreisen hieß es, die Ermittler würden über kurz oder lang den Leichnam finden. Eine Möglichkeit sei, dass die Leiche im Belgrader Wald - einem Naherholungsgebiet nördlich von Istanbul - oder in einer ländlichen Gegend bei Yalova etwa 90 Kilometer südlich von Istanbul versteckt worden sei. Die Ermittler überprüften die Fahrtrouten aller Wagen, die am Tag von Khashoggis Verschwindens das Konsulat verlassen hätten.

Saudi-Arabien hatte sein Vorgehen gegen Kritiker in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Zahlreiche Aktivisten, Kleriker, Geschäftsleute oder Frauenrechtler eingesperrt. Auch außenpolitisch tritt die Monarchie unter dem Thronfolger deutlich aggressiver auf.
 

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