Wettlauf im Packeis

Forscher müssen Polarstation evakuieren

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Eis bricht Russen unter den Füßen weg: Atom-Eisbrecher soll Forscher retten.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, weit draußen im Nordpolarmeer: Ungeplant muss Russland seine Forschungsstation SP-40 evakuieren, weil der Klimawandel die Eisscholle brechen lässt. "Die Risse nehmen dramatisch zu", sagte Expeditionsleiter Wladimir Sokolow am Sonntag. Einer der stärksten Eisbrecher der Welt, das atomgetriebene Schiff "Yamal", soll Ende Mai aus dem Hafen von Murmansk auslaufen, um das Camp mit 16 Forschern zu räumen.

Zeitraubende Strecke
Eile ist geboten: Bis zur Station in der Beaufortsee braucht das 75.000 PS starke Schiff zehn Tage, die anschließende Räumung kann drei Wochen dauern. "Damit nähern wir uns einer echten Notlage", sagte Sokolow der Staatsagentur Ria Nowosti.

Der allmähliche Bruch der zwei bis vier Meter dicken Scholle bringt nicht nur die Wissenschafter in Lebensgefahr und kann zum völligen Verlust der Forschungsanlagen führen. Schmieröle und Abfall aus der Station drohen den unberührten Landstrich bei Kanada zu verseuchen. "Hoffentlich wird dem Kreml endlich klar, wie riskant solche Manöver sind", äußerste sich dazu Wladimir Tschuprow von der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Moskau.

Station erst seit 2012 in Betrieb
Schon einmal, 2010, hat Russland eine Forschungsstation wegen eines drohenden Schollenbruchs räumen müssen. Seit Oktober 2012 untersucht nun SP-40 Veränderungen im nördlichen Polargebiet. Auch in der Antarktis, auf der anderen Erdseite, ist das Riesenreich enorm aktiv. In einem historischen Schritt bohrten russische Forscher dort im vergangenen Jahr durch fast vier Kilometer dickes Eis den Millionen Jahre alten Wostok-See an. Kritiker warnen vor der Zerstörung des nahezu unberührten Ökosystems. Dagegen erhoffen sich Wissenschafter auf der ganzen Welt Erkenntnisse zum Klimawandel.

Russlands Interesse an Eis und Schnee ist aber alles andere als selbstlos. Es geht auch um gigantische Öl- und Gasvorräte - und damit um Milliarden. In einer spektakulären Aktion rammte Russland 2007 am Nordpol unter der Eiskappe in 4.261 Metern Tiefe die russische Trikolore aus rostfreiem Titan-Metall in den Meeresboden. Wie die USA auf dem Mond 1969 machten die Russen mit ihrer Flagge - wenn auch rechtlich bedeutungslos - zumindest symbolisch ihren Besitzanspruch geltend.

Kampf um Rohstoffe und Handelsrouten
"Die Arktis gehört uns", betont etwa der Arktis-Beauftragte des Kreml, Artur Tschilingarow. Sein Recht auf den rohstoffreichen Lomonossow-Festlandsockel auf dem Meeresboden will Russland bald bei den Vereinten Nationen festklopfen. Gleichwohl rücken die Lagerstätten auch immer mehr ins Visier anderer Polarstaaten wie Kanada, Norwegen oder der USA. Sowohl der Klimawandel, der das Eis schmelzen lässt, als auch modernere Techniken machen das Fördern bisher unzugänglicher Bodenschätze im Meeresboden realistischer.

Doch es geht nicht nur um Ressourcen. Russland rechnet auch mit verbesserten Navigationsmöglichkeiten durch den Klimawandel. Eine eisfreie Nordmeer-Passage würde den Seeweg zwischen Europa und Asien auf etwa 14.000 Kilometer verkürzen. Derzeit legen Schiffe auf dieser Strecke - durch den Suezkanal - rund 21.000 Kilometer zurück.

"Politiker sagen gerne, dass die Eisschmelze neue Möglichkeiten eröffnet für Verkehrswege und den Abbau von Bodenschätzen", so der Greenpeace-Experte Tschuprow. Der Klimawandel bringe aber nicht nur Vorteile für die Wirtschaft. "Muss man wirklich die letzten unberührten Landschaften dem Profitdenken opfern?" Die ernste Gefahr für SP-40 sei "eine massive Warnung", betonte der Umweltschützer.
 

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