Erst nach 94 Minuten erwischt

Nazi-Killer von Halle: Der Polizeiskandal

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Kein Polizeischutz für die Synagoge. Der Täter konnte nach Morden mehrmals fliehen.

Der Schock sitzt vier Tage nach dem Attentat noch immer tief: Neonazi-Morde mitten in Deutschland, ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur (Versöhnungstag).

Immer deutlicher wird, wie sehr die Polizei geschlampt hat. Nur durch Zufall wurde ein Massenmord verhindert. Killer Stephan B. (27) plante ein Massaker in der Synagoge (etwa 80 Menschen beteten gerade), doch er scheiterte an der Tür. Nicht einmal mit gezielten Schüssen konnte er die Holztür öffnen.

Halle Synagoge
© APA/AFP/dpa/SWEN PFORTNER

Trotz Schussverletzung am Hals raste er davon

  • 15 Minuten. Dennoch blieb dem Rechtsradikalen nach dem ersten Notruf (12.04 Uhr) bei der Polizei noch eine Viertelstunde Zeit, mitten in der Großstadt Halle zu morden.
  • 2 Tote. Er dreht sich weg von der Synagoge, Jana L. (40) geht vorbei. Mit drei Schüssen in den Rücken streckt er sie nieder. Dann geht er seelenruhig 500 Meter weiter zu einem Kebab-Imbiss. Dort erschießt der Neonazi Kevin S. (20). Der Maler bestellte gerade sein Mittagessen.
  • Schusswechsel. Erst danach treffen die ersten Streifenwagen ein. Es kommt zu einer kurzen Schießerei (siehe Foto 4), doch der Killer kann trotz Verletzung am Hals entkommen. Die Polizei am Tatort schafft es nicht, ihn zu verfolgen, B. rast mit seinem VW Golf aus der Stadt Halle.
  • 2 Schwerverletzte. In der Folge kapert er ein Taxi und verletzt ein Ehepaar schwer. Keine Polizei ist in der Nähe.
  • Straßensperre. Erst viel später wird Stephan B. erwischt. Ein Lkw stellt sich – wohl organisiert von der Polizei – auf einer Bundesstraße in den Weg. B. hat endlich keine Fluchtchance mehr.

Halle Nazi-Anschlag Verdächtiger
© Twitter

Halle Opfer
© oe24
Die Opfer: Jana L. (li.) wurde auf der Straße erschossen. Kevin S. (re.) tötete er im Imbiss.

Kritik berechtigt

Erst um 13.38 Uhr – mehr als 1,5 Stunden nach den ersten Schüssen – wird er gefasst. Sogar der Chef der Polizeigewerkschaft sagt zur Bild: „Die Frage, wo die Polizei so lange war, ist absolut berechtigt.“

Halle
© APA

Neonazi radikalisierte sich in Internet-Foren

➜ Keine Reue. Schon im ersten ­Verhör gab Stephan B. alles zu, er bereut nichts. B. bestätigt ein antisemitisches Motiv.

➜ Helfer. Sein rassistisches Gedankengut erhielt er im Internet. Jetzt wird ermittelt, ob er Mitwisser oder Helfer hatte.

Oskar Deutsch
© APA/HERBERT PFARRHOFER
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde.

Oskar Deutsch: "Ausschließen kann man einen Angriff nirgends"

Oskar Deutsch ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.

ÖSTERREICH: Könnte so ein Anschlag auch bei uns in Österreich geschehen?

Oskar Deutsch: Wir haben in den 1980er-Jahren einen Terroranschlag auf die Wiener Synagoge erlebt. Wir haben danach ein Sicherheitssystem mit unseren Leuten und auch mit Leuten aus dem Verfassungsschutz und der Polizei aufgebaut. Wir sind damit sehr sicher. Aber ausschließen kann man nirgends einen Angriff.

ÖSTERREICH: Dennoch mussten Sie nach Halle die Vorkehrungen verschärfen?

Deutsch: Es gibt keine ­Situation der perfekten ­Sicherheit. Man kann es immer verstärken.

ÖSTERREICH: Wie lange wird diese verstärkte Sicherheit nötig sein?

Deutsch: Das kann ich leider noch nicht sagen.

ÖSTERREICH: Spüren Sie im Alltag Antisemitismus?

Deutsch: Es gibt immer wieder Vorfälle. Wir erleben heute den rechten Antisemitismus, den linken und auch den der Islamisten. Wenn man das alles zusammenzählt, dann steigt der Antisemitismus auch bei uns sehr. Aber es gehört in Österreich nicht zum Straßenbild. (pom)

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