Nach Ägypten-Protesten

Schlüsselrolle für Muslimbrüder und Armee

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Militär und Muslimbrüder - beide könnten in Ägyptens Zukunft eine Rolle spielen.

Die einen sind aus der ägyptischen Politik nicht wegzudenken, die anderen sind die älteste islamistische Bewegung der arabischen Welt: Militärs und Muslimbrüdern kommt nun für die Zeit nach Präsident Hosni Mubarak die Schlüsselrolle zu. Dass Mubaraks restliche Amtszeit eher in Stunden denn in Tagen zu messen ist, gilt für Experten als ausgemacht. "Die Armeeführung und Amerika werden ihn überzeugen, dass er ins Exil geht", ist sich der Nordafrika-Experte Thomas Hasel von der Freien Universität Berlin sicher. Das soll einen sanften Machtwechsel ermöglichen.

Räumen Soldaten das Feld?
Uneins sind sich die Experten allerdings in der Frage der künftigen Rolle der Soldaten: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Militärkaste einfach so das Feld räumt", sagt Hasel. Dem hält der Nahost-Experte und Politikwissenschaftler Stephan Stetter von der Bundeswehruniversität München entgegen, dass die Armee auf Dauer nicht die Macht am Nil übernimmt. Das gilt aus Sicht Stetters auch für den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman, der ein alter Weggefährte Mubaraks sei. Der Münchner Politologe kann sich vorstellen, dass die Ägypter auf osteuropäische Vorbilder aus dem Jahr 1989 zurückgreifen werden: "Ich halte einen Runden Tisch für denkbar." Dort sei für ihn auch Suleiman vorstellbar.

Muslimbrüder bei Wahl vor sechs Jahren mit 88 Mandaten
Amerikaner, Europäer und vor allem Israelis hat es bisher bei dem Gedanken geschaudert, dass die Muslimbrüder in Kairo das Sagen haben könnten. Sie werden sich nun daran gewöhnen müssen. Autokrat Mubarak hat sich im Westen erfolgreich als Bollwerk gegen die Islamisten verkauft, den Muslimbrüdern aber trotz Verbots Leine gelassen. So gewannen Mitglieder der Organisation bei der Parlamentswahl vor sechs Jahren 88 Mandate.

Muslimbrüder dürften bei freien Wahlen als Sieger hervorgehen
Ungeachtet der jahrzehntelangen Unterdrückung durch Mubarak sind die Muslimbrüder die am besten organisierte Oppositionsbewegung in Ägypten. Als sicher gilt, dass sie aus freien Wahlen als stärkste Kraft hervorgehen, aber die absolute Mehrheit verfehlen dürften. 30 bis 35 Prozent der Stimmen traut der Autokratieexperte Hasel ihnen zu. Ein Umkippen in eine islamistische Diktatur sei nur zu befürchten, wenn die Demokratiebewegung jetzt gewaltsam unterdrückt werden sollte: "Dann wäre eine Radikalisierung die Folge", sagt Hasel voraus.

Zwar haben Muslimbrüder schon in den 1950er Jahren der Gewalt abgeschworen, doch sind sie unverändert anti-israelisch und anti-amerikanisch. Dennoch glaubt Stetter nicht, dass eine von den Muslimbrüdern geführte Regierung den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen wird. "Dazu wäre der internationale Druck zu groß."

Umwandlung in Republik unwahrscheinlich
Auch die Umwandlung Ägyptens in eine Islamische Republik nach dem Vorbild des Iran gilt als unwahrscheinlich. Zum einen stehen nicht Geistliche, sondern Akademiker an der Spitze der Muslimbrüderschaft. Das Gros ihrer Anhänger rekrutiert sich aus der Mittelklasse. Im Gegensatz zum Iran war Ägypten auch unter Mubarak ein relativ weltoffenes Land, das jährlich zwölf Millionen ausländische Besucher und zusätzlich ausländische Investoren anlockt. Zudem fehlt es an einer Integrationsfigur vergleichbar dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini, der 1979 die Bewegung zum Sturz des Schahs anführte.

Für Hasel hat der radikale Islamismus durch viele Anschläge nicht nur in Ägypten an Strahlkraft auf die Massen verloren. Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern seien dort die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA nie bejubelt worden. Dafür, dass Ägypten nicht in ein radikal-islamisches Regime abgleitet, führt Stetter ein noch gewichtigeres Argument ins Feld: "Es ist nicht der Wunsch der Ägypter, von einer Diktatur in die nächste Diktatur zu gehen."

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