In 13 Städten

Türkei: Razzien gegen Erdogan-Kritiker

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25 Festnahmen: Auch "Zaman"-Chefredakteur trotz Protesten verhaftet.

Fast ein Jahr nach Bekanntwerden eines riesigen Korruptionsskandals in der Türkei ist die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen Anhänger des regierungskritischen islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgegangen. Polizisten durchsuchten Sonntagfrüh die Redaktion der regierungskritischen Zeitung "Zaman" in Istanbul und nahmen deren Chefredakteur unter lautstarkem Protest vor dem Gebäude fest.

Insgesamt gab es laut der Nachrichtenagentur Anadolu Razzien in 13 Städten. Mindestens 25 Menschen seien festgenommen worden, darunter mehrere Mitarbeiter eines Gülen-nahen Fernsehsenders. Insgesamt seien 32 Haftbefehle ausgestellt worden, darunter gegen "Zaman"-Chefredakteur Ekrem Dumanli. Laut Anadolu wird ihnen unter anderem die Bildung einer umstürzlerischen Vereinigung vorgeworfen.

Vor der "Zaman"-Redaktion am Rande von Istanbul versammelte sich in der Früh eine Menschenmenge. "Die freie Presse kann nicht zum Schweigen gebracht werden", riefen Demonstranten. Chefredakteur Dumanli wandte sich an die Unterstützer und forderte die Polizei heraus, ihn zu verhaften. Die Beamten zogen zunächst ab, kehrten am Nachmittag aber zurück und verhafteten Dumanli während der Protestkundgebung vor dem Gebäude. Auch der Chef des Fernsehsenders Samanyolu, Hidayet Karaca, sowie mehrere Produzenten, Autoren und Polizeibeamte wurden festgenommen.

Phantom warnte Journalisten
Wie bei früheren Razzien war die Aktion zuvor durch einen mysteriösen Twitter-Nutzer namens Fuat Avni bekannt gemacht worden, der vor der Festnahme von 400 Menschen warnte, darunter rund 150 Journalisten.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Freitag angekündigt, er werde die Gülen-Anhänger "bis in ihre Schlupfwinkel" verfolgen. Sie seien Handlanger "böser Mächte im In- und Ausland". Fethullah Gülen war lange ein Verbündeter und Weggefährte Erdogans, brach jedoch mit ihm, als die Regierung versuchte, das vom ihm betriebene Netzwerk von Schulen und Nachhilfeeinrichtungen unter ihre Kontrolle zu bringen.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf der Regierung am Sonntag einen "Putsch" vor und solidarisierte sich mit den von der Razzia Betroffenen. TV-Chef Karaca nannte die Razzien "beschämend" für die Türkei. Ministerpräsident Ahmet Davotoglu sprach dagegen von einem "Tag der Bewährung": "Jeder wird dafür zahlen, was er getan hat und für sein anti-demokratisches Verhalten", sagte der Erdogan-Vertraute.

Korruptionsskandal um Erdogan
Die Razzien erfolgten fast auf den Tag genau ein Jahr nachdem die Staatsanwaltschaft umfassende Ermittlungen zu einem Korruptionsskandal im Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschefs Erdogan eingeleitet hatte.

Im Zuge der Ermittlungen wurden zahlreiche Geschäftsleute und Politiker von Erdogans islamisch-konservativer Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) festgenommen. Der Regierungschef warf daraufhin Gülens Hizmet-Bewegung vor, Polizei und Justiz unterwandert und die Ermittlungen initiiert zu haben, um seine Regierung zu stürzen. Als Reaktion ließ Erdogan tausende Polizisten und Staatsanwälte versetzen oder entlassen.

Die eingeleiteten Korruptionsverfahren wurden inzwischen allesamt folgenlos eingestellt. Erdogan verschärfte zudem die Kontrolle des Internets und stärkte die Befugnisse der Polizei. Gülen sagte der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag, unter Erdogan sei die Türkei zu einem "Parteienstaat und eigentlich sogar Ein-Mann-Staat" geworden. Dadurch verliere sie im Ausland "jeden Tag an Ansehen".

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