Kritik an Türkei-Offensive in Syrien

US-Star-Reporter klagt an: "Es drohen ethnische Säuberungen"

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Türkei-Offensive in Syrien: Auslandskorrespondent und Politikerin berichten von ersten Menschenrechtsverletzungen – 800 IS-Gefangene geflohen. 

Tall Abyad/Akcakale. Wenige Tage nach dem Beginn der türkischen Offensive in Nordsyrien wächst international der Druck auf Ankara. Die deutsche Regierung kündigte am Samstag an, keine neuen Rüstungsexporte an die Türkei zu genehmigen, die USA drohten dem NATO-Partner Türkei mit Strafmaßnahmen.

Die türkischen Truppen und ihre syrischen Verbündeten waren laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstagmorgen aus drei Richtungen auf die nordsyrische Grenzstadt Ras al-Ain vorgerückt. Der Kampf um die Stadt dauere an, betonte ein Vertreter der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Er widersprach damit Angaben Ankaras, wonach die strategisch wichtige Grenzstadt "unter Kontrolle" der türkischen Armee sei.
 

Mindestens neun Zivilisten "hingerichtet"

Die Beobachtungsstelle teilte überdies mit, an der Seite der Türkei kämpfende syrische Rebellen hätten bei Gefechten in der Grenzstadt Tall Abyad mindestens neun Zivilisten "hingerichtet". Nach kurdischen Angaben soll unter den Opfern eine Kurdenpolitikerin sein.
 
Der US-Amerikanische Star-Reporter Richard Engel von "NBC" klagt nun an, dass er Berichte über erste Kriegsverbrechen von islamistischen Milizen, die von der Türkei unterstützt werden, habe. Offenbar wurden bereits Kurden hingerichtet. Außerdem zeigt sich der Korrespondent besorgt, dass jetzt Tür und Tor für eine ethnische Säuberung geöffnet sei. Die IS-Terrormiliz und Al-Qaeda würden zurückkehren, so der Reporter mit seinen warnenden Worten weiter. 

 

 

Seit dem Beginn der Offensive wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle mehr als 70 kurdische Kämpfer sowie rund 40 Zivilisten getötet. Die Angaben der in London ansässigen Beobachtungsstelle sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
 

Politikerin: "Videos von Köpfungen"

Die österreichische Grünen-Politikerin berichtet, sie erhalte Videos aus den Kurden-Gebieten in Syrien, die Köpfungen zeigen würden: 

 

 

Kurdische Politikerin und Frauenrechtlerin Havrin Khalaf getötet

Wenige Tage nach Beginn der türkischen Offensive in Nordsyrien ist dort eine bekannte kurdische Politikerin und Frauenrechtlerin getötet worden. Havrin Khalaf, Generalsekretärin der Partei Zukunft Syriens (FSP), sei am Samstag auf einer Landstraße in einen Hinterhalt geraten, teilten die von Kurdenmilizen angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit.
 
Die SDF machte die Türkei und deren Verbündete für Khalafs Tod verantwortlich. "Dies zeigt, dass der türkische Einmarsch nicht zwischen einem Soldaten, einem Zivilisten oder einem Politiker unterscheidet", hieß es in einer Mitteilung der SDF.
 
Von türkischer Seite gab es zunächst keine offizielle Bestätigung. Die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" meldete am Samstagabend unter Berufung auf Quellen vor Ort, Khalaf sei bei einer Operation "außer Gefecht gesetzt worden". Sie sei bei einem Luftschlag auf dem Weg von Rakka nach Qamishli getötet worden, der auf Basis von Geheimdienstinformationen durchgeführt worden sei.
 
Die Türkei betrachtet die Kurdenmiliz YPG wie auch ihren politischen Arm, die PYD, als Terrororganisation. Die Partei Zukunft Syriens ist ein Ableger der PYD und wurde im März 2018 in Rakka gegründet. Khalaf hatte sich im kurdisch-autonomen Teil Syriens vor allem für die Rechte von Frauen stark gemacht.
 
Im Internet kursierten Fotos eines schwer beschädigten Autos, mit dem Khalaf in den Hinterhalt geraten sein soll. Zudem tauchte ein Video auf, das zeigen soll, wie mit der Türkei verbündete Milizen mindestens einen kurdischen Gefangenen hinrichten. Unabhängig bestätigen ließ sich die Echtheit dieses Videos nicht.
 

800 Angehörige von IS-Anhängern aus Lager geflohen

Fast 800 Angehörige von Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind nach jüngsten Angaben der kurdischen Behörden aufgrund der türkischen Militäroffensive aus einem Gefangenenlager im Norden Syriens geflohen. 785 Frauen und Kinder seien aus der Einrichtung in Ain Issa entkommen, teilte die Verwaltung der halbautonomen Kurdenregion mit.
 
Ein Anführer des kurdisch-geführten Rebellenbündnisses SDF, gegen das sich die türkische Offensive richtet, sagte, es gebe nicht genug Wachpersonal, nachdem Kämpfer an die Front beordert worden seien. Weitere Sicherheitskräfte seien nach dem Beschuss durch das türkische Militär weggelaufen. In Ain Issa, das in der Nähe der ebenfalls umkämpften Stadt Tel Abjad liegt, gebe es nur noch 60 bis 70 Sicherheitskräfte, im Vergleich zu normalerweise rund 700. Insgesamt leben in dem Lager 12.000 Menschen, darunter auch Familien von IS-Kämpfern.
 
Die Türkei hatte am Dienstag die Offensive gegen die Kurdenmiliz im Nordosten Syriens gestartet. Dafür erntete sie internationale Kritik. Viele Staaten befürchten eine Verschlimmerung der humanitären Lage in Syrien und ein Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS).
 

Internationale Kritik

Die Militäroffensive der Türkei trifft auf breite internationale Kritik. Frankreich und Deutschland stoppten neue Waffenexporte an den NATO-Partner. Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte, die Offensive könne die humanitäre Lage in Syrien verschlimmern und den Kampf gegen den Islamischen Staat unterminieren. Einem Sprecher zufolge forderte er den türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan am Samstagabend in einem Telefongespräch auf, die Kämpfe zu beenden und in einen Dialog zu treten. Bisher hat Erdogan ein Ende der Offensive abgelehnt.
 
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