"Der IS bedroht auch Europa"

Experte warnt: IS-Terrormiliz ist wieder auf dem Vormarsch

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Guido Steinberg ortet Bedrohung für Europa - Nicht-Rücknahme von Kämpfern aus Europa sei ein Fehler.

Wien. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" ist nach Einschätzung des Islamismus-Experten Guido Steinberg wieder auf dem Vormarsch. Trotz einiger Rückschläge im vergangenen Jahr wie der Tod ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi "zeigt sich immer deutlicher, dass der IS an Stärke gewinnt", schrieb der Wissenschafter in einem aktuellen Gastbeitrag für die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit".

Demnach nahmen nicht nur die Anzahl der Anschläge in den ersten Monaten des Jahres "deutlich zu, sondern auch deren Qualität". Die zwei aufsehenerregenden Anschläge auf Sicherheitskräfte in den irakischen Provinzen Salah ad-Din und Kirkuk Anfang Mai hätten gezeigt, dass der "IS sich stark genug fühle, um besser geschützte, 'harte' Ziele anzugreifen", stellte Steinberg fest. Die Terrormiliz operiere "vor allem in der Wüste westlich des Euphrats in den Provinzen Deir ez-Zor und Homs", die unter der Kontrolle des syrischen Machthabers Bashar al-Assad stehen.

Zwei zentrale Ursachen für Entwicklung

Der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) führt die Entwicklung auf zwei zentrale Ursachen zurück. Zum einen dürfte der "Teilrückzug der US-Truppen aus beiden Ländern" zu dem erneuten Erstarken des IS beigetragen haben, zum anderen sei auch die Corona-Pandemie schuld. Durch die Krise mussten etwa Trainings für das irakische Militär beendet oder ausgesetzt werden, Armeen und Polizei seien für Kontrollen und Ausgangsperren im Einsatz gewesen "oder blieben zur Prävention zu Hause".
 
"Der IS bedroht auch Europa", warnte Steinberg weiter. Die Stabilisierung der Lage in den beiden Ländern rücke in "noch weiterer Ferne, als dies schon 2019 der Fall war". Er sieht die Gefängnisse der syrischen Kurden als künftigen "Brennpunkt": "Dort befinden sich mehr als 10.000 IS-Angehörige in Haft, unter ihnen rund 2.000 ausländische Kämpfer." Sollte der Terrororganisation ihre Befreiung gelingen, "würde dies die Kampfstärke des IS enorm steigern", schlägt der Experte Alarm.

Nicht-Rücknahme von Kämpfern aus Europa sei ein Fehler

Die "jahrelange Weigerung der Herkunftsländer, ihre Staatsbürger wieder aufzunehmen" habe zu dieser Situation geführt, kritisierte Steinberg. "Diese Politik ist insofern erstaunlich, als die Rechtslage eine Rücknahme vorschreibt und die Zahl der Kämpfer pro Land in den meisten Fällen überschaubar ist - im Fall der Deutschen zwischen 20 und 30 Mann."
 
Die Zahl der verbliebenen aktiven Kämpfer in Syrien und dem Irak liegt laut Steinberg schätzungsweise bei 4.000 bis 6.000. Rund 100 sollen nach Behördenangaben aus Österreich noch in der Region sein. Die Behörden der Kurdenregion hatten unterdessen mehrere Staaten aufgefordert, ihre gefangenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Österreich hat von dort bisher nur die Kinder einer mutmaßlich verstorbenen österreichischen IS-Anhängerin aufgenommen.
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