Bei einer Hilfsgüterverteilung im Gazastreifen hat es laut palästinensischen Angaben erneut Tote und Verletzte gegeben.
Bei Schüssen und einer Massenpanik während der Ausgabe seien mindestens fünf Menschen getötet und 30 weitere verletzt worden, so der Palästinensische Rote Halbmond am Samstag. In Zypern machte sich indes ein zweites mit Hilfsgütern beladenes Schiff auf den Weg in Richtung Gazastreifen. Dort gab es erneut Kämpfe. Im Westjordanland starb ein 13-jähriger Bub.
Menschen die an Lebensmittel gelangen wollten, wurden überfahren
Wie der Rote Halbmond mitteilte, hatten sich in der Früh vor der Ankunft von rund 15 unter anderem mit Mehl beladenen Lastwagen tausende Menschen an einem Kreisverkehr in Gaza versammelt. Drei der Getöteten seien erschossen worden. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP, Bewohner des Gazastreifens, welche die Verteilung beaufsichtigten, hätten in die Luft geschossen. Aber auch israelische Soldaten eröffneten demnach das Feuer. Den Berichten zufolge wurden Menschen bei dem Versuch, an Lebensmittel zu gelangen, von Lastwagen überfahren.
AFP-Videos zeigten einen Lastwagenkonvoi, der sich in der Dunkelheit schnell an brennenden Trümmern in der Nähe des Verteilungspunktes vorbei bewegt, während Menschen schreien und Schüsse zu hören sind. Das israelische Militär erklärte auf Anfrage, es habe keine Informationen über den Vorfall. Der Kreisverkehr in Gaza war in den vergangenen Wochen bereits Schauplatz mehrerer chaotischer und tödlicher Zwischenfälle bei der Verteilung von Hilfsgütern gewesen.
Mehr als zwei Wochen nach Ankunft eines ersten Schiffes mit Hilfsgütern im Gazastreifen aus dem zypriotischen Hafen Larnaca machte sich von dort am Samstag eine zweite Schiffslieferung auf den Weg in das Palästinensergebiet. Das Frachtschiff "Jennifer" und zwei Schlepper werden laut der amtlichen zypriotischen Nachrichtenagentur CNA rund 65 Stunden unterwegs sein.
Die US-Hilfsorganisation World Central Kitchen und die spanische Hilfsorganisation Open Arms wollen auf diesem Weg fast 400 Tonnen Hilfsgüter in das Kriegsgebiet transportieren. Nach Angaben von World Central Kitchen enthält das Schiff Reis, Nudeln, Mehl, Hülsenfrüchte und Konserven. Für das Löschen der Ladung wurde vor der Küste des Gazastreifens ein behelfsmäßiger Anleger eingerichtet. Mitte März war dort bereits ein Frachter der Hilfsorganisationen mit 200 Tonnen Hilfsgütern an Bord unter Aufsicht der israelischen Armee entladen worden.
Humanitäre Lage ist verheerend
Nach fast sechs Monaten Krieg ist die humanitäre Lage im Gazastreifen verheerend. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Gesundheitsversorgung nicht mehr gewährleistet. "Etwa 9.000 Patienten müssen dringend ins Ausland gebracht werden, um lebensrettende Versorgung zu erhalten", erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Onlinedienst X.
Mit nur noch "zehn minimal funktionierenden Krankenhäusern im gesamten Gazastreifen" seien aktuell Tausende Patienten unversorgt. Vor dem Krieg gab es in dem Gebiet nach Angaben der WHO 36 Krankenhäuser. Israel wirft der radikalislamischen Hamas vor, Militärstützpunkte unter Krankenhäusern zu unterhalten und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen - und führt deshalb Militäreinsätze an Krankenhäusern aus.
Das größte Krankenhaus des Gazastreifens, das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza, ist seit Mitte März unter israelischem Beschuss. Am Samstag tötete Israel Militär nach eigenen Angaben dort mehrere feindliche Kämpfer. Es beschlagnahmte Waffen und liquidierte Kampfstellungen der Hamas und anderer Terrorgruppen. Außerdem erklärte die Armee, dutzende Ziele im Zentrum des Gazastreifens getroffen zu haben.
Die Hamas erklärte ihrerseits, einige der Angriffe seien auf "Wohnhäuser" gerichtet gewesen. Laut Hamas sind israelische Truppen auch im Nasser-Krankenhaus sowie im Al-Amal-Krankenhaus präsent, welche beide in der südlichen Stadt Khan Younis liegen.
Bei einem Einsatz des israelischen Militärs in der Ortschaft Qabatiya im besetzten Westjordanland wurde unterdessen ein 13-jähriger Palästinenser getötet. Ein weiterer Jugendlicher sei bei dem Gefecht Samstag früh schwer verletzt worden, teilten Ärzte im Spital der nahe gelegenen Stadt Jenin mit. Augenzeugen zufolge hatten israelische Soldaten den Ort gestürmt, Scharfschützen auf Dächern postiert, mehrere Häuser durchsucht und einen Vater mit seinem Sohn festgenommen.
Bewaffnete Palästinenser widersetzten sich den israelischen Soldaten, es kam zu einem Schusswechsel, so die Berichte, die sich vorerst nicht unabhängig überprüfen ließen. Das israelische Militär äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Jenin und seine Umgebung gelten als Hochburgen militanter Palästinenser. Das israelische Militär führt regelmäßig Razzien durch.
Seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Gazastreifen am 7. Oktober hat sich die Lage im Westjordanland noch einmal deutlich zugespitzt. 434 Palästinenser wurden seither nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Westjordanland bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder eigenen Anschlägen getötet. Es kam auch verstärkt zu Gewalt israelischer Siedler gegen Palästinenser.
Ausgelöst wurde der seit mittlerweile fast sechs Monaten dauernde Krieg durch den Großangriff der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas auf Israel am 7. Oktober. Bei dem Angriff wurden israelischen Angaben zufolge mindestens 1.160 Menschen getötet, 250 wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel kündigte daraufhin hin an, die Hamas zu vernichten, und geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mittlerweile mehr als 32.700 Menschen getötet.