Prozess in München

90-Jähriger wegen Kriegsverbrechens angeklagt

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Es ist einer der letzten Kriegsverbrecherprozesse des 2. Weltkrieges: In München muss sich ein 90-Jähriger wegen 14-fachen Mordes verantworten.

Ein früherer Leutnant der deutschen Wehrmacht hat vor Gericht in München die Verantwortung für ein Massaker in der Toskana im Juni 1944 von sich gewiesen. Der 90-Jährige muss sich in einem der mutmaßlich letzten Kriegsverbrecherprozesse verantworten.

Anklage laute auf 14-fachen Mord
Der Angeklagte bestreite, als Kompanieführer des Gebirgspionier-Bataillons 818 einen Gegenschlag zur Vergeltung eines Partisanen-Überfalls geplant zu haben, sagte sein Verteidiger Christian Stünkel am Montag. Der Rentner wird des Mordes in 14 Fällen beschuldigt. Er soll die Erschießung von vier Zivilisten und die Sprengung eines Hauses befohlen haben, in dem zehn Menschen ums Leben kamen. Eine solche Tat "wäre mit Sicherheit durch die Gerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht verfolgt und geahndet worden", sagte der Anwalt unter dem Hohngelächter von Zuhörern im voll besetzten Saal.

Vor Verhandlungsbeginn hatten Mitglieder eines Arbeitskreises "Angreifbare Traditionspflege" auf Flugblättern Anklage auch gegen alle anderen in Italien wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilten deutschen Ex-Soldaten gefordert. Der Angeklagte ist vor zwei Jahren in Abwesenheit von einem italienischen Gericht zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt worden.

2004 kam Fall ins Rollen
Erst durch das damalige Rechtshilfeersuchen sei die Münchner Staatsanwaltschaft 2004 auf den Fall aufmerksam geworden, berichtete Anklagevertreter Hans-Joachim Lutz am Rande der Verhandlung. Anfang dieses Jahres wurde der ehemalige Kompanieführer angeklagt. Der Arbeitskreis will den Prozess ständig beobachten. Auch eine Reihe von Neonazis interessiert sich für das Verfahren.

Laut Anklage waren am 26. Juni 1944 zwei Pioniere des Bataillons 818 in einem Hinterhalt von Partisanen ums Leben gekommen. Tags darauf soll der Vergeltungsschlag gegen Mitglieder der Zivilbevölkerung gefallen sein. In dem gesprengten Haus überlebte nur ein Jugendlicher. Der heute 80-Jährige soll am 7. Oktober voraussichtlich mittels Videoschaltung gehört werden.

Der Angeklagte bestreitet nach den Worten des Verteidigers jede Kenntnis von dem "Vorfall". Er sei gar nicht am Tatort gewesen, sondern habe im fraglichen Zeitraum die Instandsetzung einer gesprengten Brücke geleitet. Dieser Befehl habe "oberste Priorität" gehabt, seine Missachtung wäre "streng bestraft worden". Die Staatsanwaltschaft könne keinen Augen- oder Ohrenzeugen für die Anwesenheit des Angeklagten bei dem gesprengten Haus und für seinen Befehl zu dem Massaker benennen, rügte der Anwalt. Im Übrigen bezweifle er die Verhandlungsfähigkeit des Greises und behalte sich einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens vor.

Prozess wird Ende September fortgesetzt
Mitverteidiger Rainer Thesen, ein Oberst der Reserve, hat die Ladung seines früheren Vorgesetzten Oberst a.D. Klaus Hammel als militärhistorischer Gutachter beantragt. Ein Sachverständiger in diesem Prozess müsse "die berufliche Qualifikation eines Generalstabsoffiziers" haben. Hammel habe "kriegsgeschichtliche Forschungsarbeiten" insbesondere über den Kriegsschauplatz Italien veröffentlicht. Der Sachverständige werde darlegen, dass sich zur Tatzeit am Tatort Truppen des gestürzten Diktators Benito Mussolini befunden hätten, die möglicherweise für das Massaker verantwortlich seien. Der Prozess wird am 29. September fortgesetzt.

Foto: (c) AP

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