Reporter Karl Wendl aus Libyen

Gaddafi narrt die Verfolger

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Millionen-Kopfgeld, Rebellen jagen ihn. Doch er bleibt verschwunden. Noch.

Er hat die Realität verdrängt. Bis zuletzt. Wüstendiktator Muammar Gaddafi (69) hat nicht mit der Erstürmung seiner Festung Bab al Asisija gerechnet. Das zeigen die Spuren in seinem Haupthaus innerhalb der sechs Hektar großen Anlage: Im zentralen Gebäude ist zwar an vielen Stellen Feuer gelegt worden. Gaddafis Büro, sein Konferenzzimmer, die Küche, der Pool und einige Nebengebäude sind aber kein Raub der Flammen geworden: „Sie hatten keine Zeit, alles zu vernichten“, sagt ein Kämpfer zur mir.



Chaos
In Gaddafis Büro liegen wild verstreut Tausende halb verkohlte Fotos, handgeschriebene Briefe, kistenweise Dokumente. Die Bilder zeigen ihn mit seinen Kindern, mit seiner Frau Safia. Auf anderen ist er mit Fidel Castro zu sehen, Jassir Arafat oder Condoleezza Rice, ehemalige US-Außenministerin.

Überhastet
„Es sieht aus“, sagen die Kopfgeldjäger, „als wären sie Hals über Kopf geflohen“. Selbst einen vergoldeten Koran in einer Mahagoni-Box ließ er zurück, der Swimmingpool ist noch voll Wasser.

„Zuerst zog sich Gaddafi wohl in einen seiner Geheimbunker zurück“, wird vermutet. Das ausgeklügelte Tunnelsystem, das deutsche und serbische Inge­nieure quer durch Tripolis angelegt haben, ist Dutzende Kilometer lang, mehr als zwei Meter hoch, zweieinhalb Meter breit. Jeder Winkel dieses Systems wird derzeit von Rebellentrupps durchsucht, jeder Bunker geöffnet.

Lange Suche
„Er könnte hier monatelang sitzen“, sagen sie, „und wir würden ihn nur zufällig finden“. Iraks Diktator Saddam Hussein versteckte sich acht Monate in einem Erdloch, Osama bin Laden zehn Jahre in einem abgeschirmten Haus: „Am wahrscheinlichsten ist aber“, so Justizminister Mohamed Alady „dass er in einem Haus in Tripolis ist“. Abgeschirmt, unauffällig.

Keine Spur auch von den Söhnen Gaddafis: Saif al-Islam und seine Brüder könnten schon in Algerien sein.

Grauen im Leichenhaus nahe Tripolis

Es stinkt. Süßlicher Geruch, verbranntes Fleisch, Millionen Fliegen. Das Hauptquartier der gefürchteten Khamis-Brigaden bei Tripolis. Die Söldner-Einheiten wurden von Khamis Gaddafi kommandiert, jüngster Sohn des Diktators: „Sie waren die loyalsten“, sagen die Menschen, „sie kämpften bis zuletzt“. Und mordeten. Auch die eigenen Leute. Seit Tagen ist der Khamis-Komplex von den Rebellen erobert. Doch erst jetzt wagten sich die Nachbarn hinein. Horror: In einem hallenartigen Gebäude liegen 53 Tote. Die meisten an den Händen am Rücken gefesselt. Exekutiert. Danach mit Benzin überschüttet und angezündet. Wer die Toten sind, weiß niemand: „Die meisten sind Zivilisten“, sagt einer der Nachbarn. Sicher dabei sind aber auch Söldner, die nicht weiterkämpfen wollten und von Khamis-Einheiten exekutiert wurden. Insgesamt habe man 246 Tote gefunden, sagt Ahemd Barakat, Gesundheitsminister der Übergangregierung zu ÖSTERREICH: „Teilweise sind die Toten schwer zu identifizieren. Viele sind stark verwest, sie liegen seit Tagen in der prallen Sonne.“ Man werde dennoch von allen Fotos machen: für das Haager Kriegsverbrechertribunal.

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