In Russland läuft die Wahlwerbung alles andere als gerecht ab. Die Opposition darf nicht ins Staats-TV, die Kreml-Partei schreckt nicht vor teuren Wahlgeschenken zurück.
Wahlgeschenke von warmen Decken über Wodka bis hin zu Tierfutter, aber auch Stimmenkauf und Drohungen - vor Russlands Dumawahl am Sonntag häufen sich Beschwerden über Verstöße gegen das Wahlgesetz. Was Menschenrechtler und Wahlbeobachter von vornherein als "unfairen Wahlkampf" und "Pseudo-Wahl" abgestempelt haben, treibt nach russischen Medienberichten fast täglich neue Blüten. "Was die gegenwärtige Wahlkampagne angeht, so ist ihr jedwede Gerechtigkeit abhandengekommen", kritisiert der Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin von der liberalen Partei Union Rechter Kräfte (SPS).
Studenten mit Wohnheimplätzen gelockt
Obwohl ein Sieg der
Kremlpartei Geeintes Russland mit ihrem Spitzenkandidaten Wladimir Putin als
sicher gilt, überlassen die Anhänger des Präsidenten nichts dem Zufall. "Da
werden Wähler mit kostenlosen Massagen ohne Wartezeiten oder - warum auch
immer - mit Unmengen Kohl gelockt", sagt die St. Petersburgerin Oxana
Dmitrijewa. Studenten hätten ganze Beutel mit dem Symbol der Partei Geeintes
Russland verschenkt. Zur Belohnung für ihre "Putin-Unterstützung" seien
ihnen Wohnheimplätze und andere Vorteile beim Studium versprochen worden.
Mit einem Videobeweis und Zeugennamen hat Oxana bei der Staatsanwaltschaft
Anzeige erstattet.
Opposition ohne Werbespot im Staatsfernsehen
Im Wahlkampf musste
vor allem die liberale Oppositionspartei SPS immer wieder Rückschläge
hinnehmen. Die Polizei beschlagnahmte Hunderttausende Exemplare ihrer
Wahlzeitung. Das Innenministerium warf den SPS-Wahlkämpfern illegale
Agitation vor. Auch ein Werbespot der Oppositionspartei lehnte das
Staatsfernsehen ab - trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Wahlwerbung.
Dagegen ist Präsident Putin dauerhaft auf allen Kanälen präsent, um für
seine Politik zu werben und vor "Schakalen" der Opposition und "gierigen,
rachsüchtigen Oligarchen" zu warnen.
Kritik gilt als "Provokation"
Kritik am Wahlkampf, in
dem es auch Visaprobleme für internationale Beobachter gab, weisen die
Behörden als "Provokation" zurück. Als Regierungskritiker am vergangenen
Samstag eine Petition für gerechte Wahlen bei der Zentralen Wahlkommission
in Moskau einwerfen wollten, wurden mehrere von ihnen verhaftet: auch der
Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, der am Donnerstag wieder freikam.
Arbeitsgruppe der Kremlpartei hat Kontrolle
Kritisch schilderte
etwa die Wirtschaftszeitung "Wedomosti", wie Unternehmen auf Druck der
Kremlpartei zu Spenden gezwungen würden, um den teuren Wahlkampf für Putin
zu finanzieren. Am Donnerstag berichtete das Blatt außerdem, dass nach dem
Urnengang am 2. Dezember nicht die Zentrale Wahlkommission die
Wahlprotokolle anfertige. Die Kontrolle habe vielmehr eine Arbeitsgruppe, in
der ausschließlich Mitglieder der Kremlpartei Geeintes Russland das Sagen
hätten. Eltern schilderten in derselbe Ausgabe, wie Politiker der
Kremlpartei bei Schulversammlungen "Druck auf Eltern und Lehrer ausübten".
Auswüchse ärger als zu Sowjetzeiten
"Das ist der
dreckigste Wahlkampf, den wir je hatten", sagt der Moskauer Chef der
liberalen Oppositionspartei Jabloko, Sergej Mitrochin. Das "System
Wahlbetrug" beschrieb die russischsprachige Zeitschrift "The New Times" mit
Klagen russischer Beobachter, dass es solche Auswüchse nicht einmal zu
Sowjetzeiten gegeben habe. "Bei der Auszählung gibt es die verschiedensten
Möglichkeiten", sagt der Vorsitzende der Überregionalen Wählervereinigung,
Andrej Busin. Mitarbeiter von Behörden klagen anonym von einen wachsenden
Druck von oben, die Forderungen seien nur durch Wahlfälschung zu erreichen.
Wählen unter Aufsicht des Arbeitgebers
Verbreitet sind
besonders die Fälle, in denen Wähler sich einen Wahlberechtigungsschein von
den Behörden holen, um etwa am Arbeitsplatz oder in Schulgebäuden unter
Aufsicht zu wählen. Auch die unter Putin zu Reichtum gekommenen
Unternehmensbosse schreiben laut Augenzeugen ihren Angestellten vor, wo sie
ihr Kreuz machen sollen. "Wir müssen um unsere Jahresendeprämie fürchten,
wenn wir den Forderungen nicht nachkommen", sagt eine Moskauerin.