02. November 2007 16:57
Richter Werner Leschinger erklärte, eine Beschränkung des im Grundgesetz
verbrieften Streikrechts sei nicht zulässig, die Wahl der Kampfmittel sei
dabei den Tarifparteien selbst überlassen. Eine Ausweitung der Streiks sei
per se nicht unverhältnismäßig. Bereits vor der Entscheidung hatte die
Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) angekündigt, bis einschließlich
Sonntag auf neue Streiks zu verzichten. Ein Streik im Fernverkehr würde auch
die ÖBB treffen.
Verhandlungen seit der Früh
Über das weitere Vorgehen werde
die GDL nach dem Urteil entscheiden, sagte der stellvertretende
GDL-Vorsitzende Claus Weselsky. Die Verhandlung hatte am Morgen begonnen. In
einer Pause hatte GDL-Chef Manfred Schell erklärt, es sei noch keine
Richtung abzusehen. Zugleich lobte er aber die Verhandlungsführung des
Richters, der eine Grundsatzentscheidung anstrebe. "Da befinden wir uns auf
einem guten Wege", sagte Schell, der wegen des Termins seine Kur am Bodensee
unterbrochen hatte.
In erster Instanz hatte das Chemnitzer Arbeitsgericht am 5. Oktober Streiks
in den beiden Bereichen untersagt und Arbeitsniederlegungen lediglich im
S-Bahn- und Regionalverkehr erlaubt. Bei einem für die GDL positiven Urteil
stünde die Bahn unter Zugzwang, sagte Schell vor der Entscheidung des
Gerichts. "Wir haben nicht ein einziges tragfähiges Angebot", kritisierte er.
Streik sei "keine gute Lösung"
Der deutsche
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee rief inzwischen die Tarifpartner erneut
zu Verhandlungen auf. Ein Streik sei "keine gute Lösung", sagte der
SPD-Politiker der ARD. "Wir arbeiten im Hintergrund intensiv daran, dass die
Streikparteien zurück an den Verhandlungstisch kommen", fügte Tiefensee
hinzu.
Er bestätigte zugleich eine Meldung der "Frankfurter Rundschau", dass er dem
Chef der Lokführergewerkschaft, Manfred Schell, einen Brief geschrieben und
ihn zur Mäßigung aufgerufen habe. Ein Ausstand im Güterverkehr über Tage
oder Wochen hinweg wäre "ein schwerer Schaden für die Volkswirtschaft",
sagte der Minister. Es gelte deshalb, möglichst schnell dafür zu sorgen,
dass beide Seiten an einen Tisch kämen. Der Bund wolle das seine dazu tun.
Bahn-Vorstandsmitglied Norbert Bensel betonte dagegen ebenfalls in der ARD,
die Bahn werde sich "nicht zwingen lassen". Die Probleme könnten nur am
Verhandlungstisch gelöst werden. Schließlich habe die Bahn ein gutes Angebot
vorgelegt und erwarte deshalb von Schell und seinen Stellvertretern die
Bereitschaft zum Verhandeln.
Mehr als 4,5 Prozent Einkommenserhöhung
Weselsky erklärte,
Mäßigung in dem Tarifkonflikt sei nur zu erwarten, wenn die Bahn ein Angebot
mache, das mehr als 4,5 Prozent Einkommenserhöhung und verbesserte
Arbeitszeiten vorsehe. Ein Ausstand diene dem Ziel, dem Arbeitgeber
wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. "Wenn wir das tun, dann um den Druck zu
erhöhen, zu einem Tarifabschluss zu kommen."
Streik kostet bis zu 50 Mio. Euro pro Tag
Die möglichen Schäden
eines Streiks im Güterverkehr sind gewaltig: Nach Berechnungen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kostet ein solcher Streik die
Volkswirtschaft bis zu 50 Millionen Euro pro Tag. "Dann liegen ganze
Wirtschaftszweige lahm", warnte die DIW-Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert.
Besonders der Fahrzeugbau, die Stahlindustrie und die Versorgung mit
fossilen Brennstoffen wären demnach betroffen. Aber schon allein die
Ankündigung von Streiks im Güterverkehr durch die GDL führte einer
Bahn-Sprecherin zufolge zu Umsatzausfällen im zweistelligen Millionenbereich.