Zum Ekeln schön

Feuchtgebiete-Film hält, was Roman verspricht

01.08.2013

Wnendt macht Charlotte Roches Skandalbuch auf Leinwand leichter verdaulich.

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Masturbation, Intimrasur und Hämorrhoiden: Der explizite Stoff, mit dem die deutsche Moderatorin Charlotte Roche 2008 schlagartig zur Skandal- und Bestseller- Autorin zugleich wurde, schien kaum verfilmbar. Nun schafft es "Feuchtgebiete" unter der Regie von David Wnendt ("Kriegerin") als wildes, amüsantes und provokatives Feuerwerk zwischen Ekel, Tiefgang und jugendlichem Charme doch auf die Leinwand – und ist sogleich im Rennen um den Goldenen Leoparden beim am 7. August startenden Internationalen Filmfestival Locarno. In den österreichischen Kinos läuft die deutsche Produktion, die dank der einnehmenden Hauptdarstellerin Carla Juri vor allem auch jenen zu empfehlen ist, die einst das Buch angeekelt weggelegt hatten, ab 23. August.

Hier der Trailer zum Film



Junge Aufmüpfige entdeckt Sexualität
Bei Helen Memel (Juri) wird Hygiene kleingeschrieben, Hämorrhoiden sind seit jeher ihre ständigen Begleiter. Das ist aber noch nichts gegen die schmerzhafte Analfissur, die sie sich bei der verhassten – und wieder mal viel zu schnell angelegten – Intimrasur zugezogen hat. Ihren Krankenhausaufenthalt nutzt Helen zur Reminiszenz vergangener sexueller Abenteuer und körperlicher Experimente, auch zum Flirt mit Pfleger Robin (Christoph Letkowski) und für den Masterplan, ihre Eltern an ihrem Krankenbett wieder zusammen zu bringen. Denn hinter Masturbation mit Avocado-Kernen, Periodenblut-Ritualen mit Freundin Corinna (Marlen Kruse) und der Besessenheit mit ihrer Analwunde steckt in Helen am Ende doch nur ein Scheidungskind, das sich eine intakte Familie wünscht.

Kindheitstrauma wichtige Bestandteil
Das Scheidungstrauma ist es, das Regisseur David Wnendt mit Co-Autor Claus Falkenberg im Drehbuch verstärkt ausgearbeitet hat. Sehr in Roches Sinne, habe man als Zuseher dadurch jetzt "viel mehr Verständnis für Helen und ihren psychischen Schmerz", wie sie im APA-Interview erzählt. "Was Bessers kann ja gar nicht passieren!" So erklären die Hygiene-Besessenheit der neurotischen Mutter (Meret Becker) und die Freizügigkeit des Playboy-Vaters (Axel Milberg) manch ekelerregende Ausschweifung. Der innere Monolog der Romanfigur wird zu diesem Zweck zu einer Chronik von Drogen- und Sexeskapaden, körperlichen Experimenten sowie Rückblenden in eine herausfordernde Kindheit verwoben.

Viel entschärft Buch
"Wenn man Schwänze, Sperma und andere Körperflüssigkeiten ekelhaft findet, kann man es mit dem Sex auch direkt bleiben lassen", sagt Helen einmal. Der Film kann hier Abhilfe schaffen: Was sich bei Roches Debütroman in der Fantasie der Leser gar ekelhaft und unerträglich abgespielt hat, kommt auf der Leinwand leichter und unterhaltsamer daher. Wie auch in Helens Wahrnehmung mal Traum und Realität verschwimmen, wächst auf der Leinwand eine Avocado-Pflanze aus ihrer Vagina, tanzt Sperma im Donauwalzer-Takt und fährt die Kamera in der Eingangsszene durch Hämorrhoiden ins Körperinnere in eine fantastische Bakterienwelt. So gelingt es Wnendt spielerisch, uns Helens Welt klischeefrei und mit poppigem Soundtrack und knalligen Farben näherzubringen und über Ekel-Momente hinwegzutrösten.

Roche bei Premiere in Wien dabei
Wie Pfleger Robin ist man als Zuseher mehr fasziniert als abgestoßen von der so offen mit ihrem Körper und ihrer Sexualität umgehenden Helen. Ein Kunststück, das einem bisher unbekannten Schauspielgesicht grandios gelingt: Die im Tessin geborene Carla Juri, Anfang 2013 bei der Berlinale als European Shooting Star für die Schweiz geehrt, ist in ihrer ersten Hauptrolle in einer deutschen Kinoproduktion einnehmend und intensiv, tough und verletzlich zugleich und verliert bei all dem Eiter, Blut und Sex nie ihre Unschuld. Den Startschuss zu einer hoffentlich großen Karriere gibt’s in Locarno – am 19. August kommt sie mit Charlotte Roche auch zur Premiere nach Wien.

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