Literatur

Zum 100. Geburtstag von Astrid Lindgren

13.11.2007

Astrid Lindgren ist die meistgelesene Kinderbuchautorin der Welt. Am Mittwoch, 14. November, wäre sie hundert Jahre alt geworden. Sie verstarb im Jahr 2002.

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Die "Kinder von Bullerbü" leben in einem winzigen schwedischen Dorf von tiefster Idylle, in roten Höfen, in denen mit Spaß und Fleiß den Aufgaben des täglichen Lebens nachgegangen wird. Der kleine Ort Näs nahe Vimmerby im schwedischen Smaland ist vielleicht derjenige Platz auf der Welt, der Bullerbü am nächsten kommt - die Schöpferin dieser und unzähliger weiterer, nicht weniger berühmter Geschichten wurde dort vor 100 Jahren geboren. Doch das Leben führte Astrid Lindgren auch jenseits von ländlicher Idylle, zu harten Trennungsphasen von ihm Sohn, zu politischem Engagement und natürlich zu Weltruhm als "Mutter der Märchen".

Eine unbeschwerte Kindheit
Astrid Ericsson hieß die Bauerntochter, die am 14.11.1907 zur Welt kam, die die weiten, geheimnisvollen Wälder, die unzählen Seen, Inseln und klaren Bäche ihrer Heimat als Inspirationsquelle verwendete und ihren Vater als "besten Geschichtenerzähler von allen" bezeichnete. Kaum eine von Lindgrens Geschichten ist vorstellbar ohne diese Erinnerungen an ihre unbeschwerte Kindheit. Ein abruptes Ende fand das beschauliche Leben durch ihre plötzliche Schwangerschaft im Alter von 18 Jahren. Weil eine ledige Mutter in einem kleinen Ort wie Vimmerby ein Skandal gewesen wäre, zog sie in die Anonymität der Großstadt Stockholm und musste ihren Sohn Lars aus finanziellen Gründen zunächst in fremde Hände geben - erst nach ihrer Hochzeit mit Sture Lindgren 1931 konnte sie ihn endgültig zu sich holen.

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Astrid Lindgren verstarb 2002

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Politisches Engagement
Während der 1930er, in denen auch ihre Tochter Karin geboren wurde, begann Lindgrens politisches Engagement, schon damals setzte sie sich vor allem für Kinder ein, interessierte sich aber auch für internationale Politik. Die Erfolgsgeschichte als Autorin begann mit Pippi - oder eigentlich nicht. Das wilde Mädchen mit den roten Zöpfen hatte sie für ihre kleine Tochter erfunden, 1944 schrieb sie die Geschichten als Geburtstagsgeschenk nieder und schickte sie an einen Verlag, "... in der Hoffnung, dass sie mir nicht die Jugendfürsorge alarmieren", wie sie später erzählte. Die "Ur-Pippi", die in diesem Jahr erstmals veröffentlicht wurde, wurde abgelehnt. Erst nach der Veröffentlichung von "Britt-Marie erleichtert ihr Herz" und einer Überarbeitung gewann Pippi im Jahre 1945 den ersten Preis im Wettbewerb für Kinderbücher - mit Übersetzungen in 58 Sprachen begann der Siegeszug der selbstbewussten kleinen Schwedin um die ganze Welt.

"Wichtigste Schwedin des Jahrhunderts"
Und der Siegeszug sollte nicht mehr abreißen. Die "Kinder aus Bullerbü" (1947), "Mio, mein Mio" (1954), "Madita" (1960), "Michel von Lönneberga" (1963), "Die Brüder Löwenherz" (1973) und "Ronja Räubertochter" (1981) sind nur die Spitze des Eisberges von Kinderbüchern, die nicht nur Literatur-, sondern in zahlreichen Adaptionen auch Film- und Hörspielgeschichte geschrieben haben. Mit 120 Millionen Exemplaren, die weltweit in 70 Sprachen unter Kinder und Erwachsene gebracht worden, ist Lindgren nicht nur unumstritten die Nummer eins der Kinderliteratur, sondern wurde auch als Persönlichkeit immer beliebter - was ihr unter vielen anderen den Titel der "wichtigsten Schwedin des Jahrhunderts" einbrachte.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Astrid Lindgren am Mittwoch, 14. November, wurde Bundeskanzler Gusenbauer zu seinen Erfahrungen mit Pippi Langstrumpf befragt.

Bundeskanzler Gusenbauer spricht über seine Erfahrungen mit Pippi Langstrumpf:

Wer sprach mehr aus Ihrem Kinderherzen: Pippi, Ronja oder die Kinder von Bullerbü?
Alfred Gusenbauer: "Es war selbstverständlich Pippi, denn sie war so etwas wie eine Superheldin, die alles vermochte. Zudem war ja Pippi Langstrumpf nicht nur ein abstraktes literarisches Produkt, sondern auch eine Kino- und ein bisschen später eine Fernsehgestalt. Sie war lebendig im eigentlichen Sinn des Wortes. Als Bub konnte ich selbstverständlich nicht Pippi Langstrumpf sein. Aber sie hatte ja zwei Freunde, die in einer vollkommen normalen Familie aufwuchsen und mit ihr gemeinsam die spannendsten Abenteuer erlebten. Von so einer Welt der Abenteuer, von dieser Subversion von Autoritäten, träumten Kinder, die in den 60er Jahren hier in Österreich aufgewachsen sind. Ich bin ein Kind der 60er Jahre und teile daher diesen Erfahrungshintergrund."

Was glauben Sie, hat Lindgrens Geschichten über all die Jahre überleben lassen?

Gusenbauer: "Pippi Langstrumpf war in einer Phase meiner Kindheit wichtig, aber sie war natürlich nur eine Gestalt von Bedeutung. Ich wollte schon ein bisschen verwegener sein, und dafür boten für mich als Bub die Gestalten von Karl May die bessere Identifikationsmuster an. Meine Tochter ist inzwischen in einer viel freieren und kindgerechteren Welt aufgewachsen. Sie hat sich andere Heldinnen gesucht."

Was glauben Sie, hat Lindgrens Geschichten über all die Jahre überleben lassen?
Gusenbauer: "Astrid Lindgren hat die Sehnsüchte der Kinder niedergeschrieben und nicht die Wertvorstellung der Erwachsenen, wie sie in den klassischen Kinder- vor allem Mädchenbücher zum Ausdruck gekommen sind. Und diese Sehnsüchte sind zeitloser.

Die Figuren
Sie sind lebenslustig und fantasievoll, vor allem aber sind sie frech, eigenständig und unabhängig: Astrid Lindgrens Figuren widersprachen - jede in ihrer Weise - vielen gängigen Klischees des "braven" Kindes. Als Verfechterin von Rechten, Wünschen, aber auch Ängsten von Kindern trat Lindgren in den 60er und 70er Jahren noch stärker hervor. Anlässlich des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, der ihr 1978 zugesprochen wurde, hielt sie ihre berühmte Rede "Niemals Gewalt". Mit einfachen und energischen Sätzen wie "Gebt den Kindern Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe, dann kommt die Lebensart von selbst" bleibt ihr - auch schriftstellerisches - Credo auch nach ihrem Tod im Jahre 2002 klar im Gedächtnis.

Die Auszeichnungen
Zu den vielen Auszeichnungen, die Lindgren erhielt, zählt auch der Internationale Jugendbuchpreis (1993) und der Alternative Nobelpreis (1994). Als sichtbare Zeichen ihres Einflusses und ihrer Beliebtheit können auch einige von ihr massiv mitbewirkte politischen Änderungen in Schweden - ein Tierschutzgesetz ging als "Lex Lindgren" in die Annalen ein - sowie der internationale Wirbel um ihr heuriges Jubiläum gelten. So steht nicht nur Schweden - und Vimmerby im Besonderen - schon seit Jänner im Zeichen des Lindgren-Jahres, es scheint fast als wäre die ganze Welt vom Lindgren-Fieber erfasst. Zahlreiche Jubiläumsausgaben ihrer Bücher, Theaterstücke, Filmtage und andere Veranstaltungen konzentrieren sich im und um den November. Und nachdem der Fasching nur wenige Tage vor dem Geburtstag offiziell beginnt, sind die Perücken mit den beiden roten Zöpfen in diesem Jahr wahrscheinlich sogar noch beliebter als sonst.

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