Doppelmord-Prozess in Wien:

Ein Freispruch, ein Mal lebenslang

12.04.2013

Seniorin (89) und Pflegerin (54) mit 19 Messerstichen abgeschlachtet: Höchststrafe.

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© TZ ÖSTERREICH/Kronsteiner
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Einen bemerkenswerten Ausgang hat am Freitagabend im Wiener Straflandesgericht der Prozess um eine am 22. Juni 2012 in Wien-Meidling getötete 88-jährige Pensionistin und ihre 54 Jahre alte Heimhelferin genommen. Während der bisher gerichtlich unbescholtene Martin Sch. (35) mit 7:1 Stimmen wegen Doppelmordes, schweren Raubes und versuchter Brandstiftung schuldig erkannt und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sprachen die Geschworenen mit 4:4 Stimmen den 16-fach vorbestraften Andreas B. von sämtlichen wider ihn erhobenen Vorwürfen frei.

Richtig freuen konnten sich der 47-Jährige und sein Verteidiger Marcus Januschke über diese Entscheidung allerdings nicht. Die drei Berufsrichter setzten den Freispruch wegen Irrtums der Geschworenen umgehend aus. Damit muss nach einer Prüfung des bisherigen Verfahrens durch den Obersten Gerichtshof (OGH) der Prozess gegen Andreas B. von einem neuen Schwurgericht wiederholt werden. Der Mordverdacht bleibt damit aufrecht, der Mann vorerst weiter in U-Haft.

Normann Hofstätter, der Rechtsvertreter von Martin Sch., meldete gegen die über seinen Mandanten verhängte Höchststrafe Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Sie ist somit nicht rechtskräftig.

Freispruch wegen "Irrtum" ausgesetzt
Da der Wahrspruch der Geschworenen laut Strafprozessordnung (StPO) keiner näheren Begründung bedarf, blieb bei der Urteilsverkündung unklar, weshalb die Geschworenen Martin Sch. mit deutlicher Mehrheit für schuldig hielten, Stephanie V. (88) und ihre Heimhelferin Halina H. (54) ermordet zu haben, während Andreas B. aufgrund von Stimmengleichheit bei der Abstimmung zunächst formal freigesprochen wurde, ehe die drei Berufsrichter diesen Wahrspruch revidierten. Die vorsitzende Richterin Eva Brandstetter hatte keine gesetzliche Grundlage, um auf das bemerkenswerte Abstimmungsverhalten der Geschworenen einzugehen. Sie gab lediglich bekannt, dass der Senat den Freispruch wegen Irrtums der Geschworenen aussetze.

Die Höchststrafe für Martin Sch. begründete Brandstetter mit dem Zusammentreffen mehrerer Verbrechen, der besonders brutalen Vorgangsweise und den "niederen Motiven". Laut Anklage sollen die beiden Männer in die Wohnung der 88-Jährigen in der Böckhgasse eingedrungen sein und diese sowie ihre jahrelange Heimhelferin mit 19 bzw. elf Messerstichen zu Tode gebracht haben, um sich in den Besitz von Bargeld und Schmuck der betagten Frau zu bringen. Danach zündeten sie der Anklage zufolge die Leichen an, um allfällige Spuren zu verwischen.

Dass Stephanie V. zu Hause eine hohe Geldsumme aufbewahrte, sollen Martin Sch. und Andreas B. im Cafe "Magaluf" auf der Wienerbergstraße erfahren haben, wo sie ebenso Stammgäste waren wie der Sohn der 88-Jährigen, der unter Alkoholeinfluss regelmäßig von den Reichtümern seiner Mutter berichtete.

DNA-Gutachten belastete

Beide Angeklagte, die vor allem von einem DNA-Gutachten belastet wurden - auf einem am Tatort sichergestellten Zigarettenstummel fanden sich DNA-Merkmale von Andreas B., in der Wohnung von Martin Sch. konnten ein Gürtel und eine Jean sichergestellt werden, auf denen DNA-Spuren von Halina H. entdeckt wurden - hatten bis zuletzt die Täterschaft bestritten. "Ich hab' damit absolut nix am Hut", hatte Andreas B. in seinem Schlusswort erklärt. Martin Sch. wiederum gab bei dieser Gelegenheit zu bedenken, er sei zwar "kein Heiliger", habe aber im Vorjahr "eine super Zukunft und eine Frau" gehabt: "Warum sollt' ich mir das alles zerstören?"

Vier Geschworene schenkten dem älteren Angeklagten Glauben, der beteuert hatte, jemand müsse im "Magaluf" die Reste einer von ihm gerauchten Zigarette eingesteckt und später bewusst am Tatort deponiert haben, um eine falsche Spur zu legen und ihn zu Unrecht zu belasten. Die DNA-Experin Christina Stein hatte zuvor festgestellt, dass sämtliche 17 auf dem Stummel nachweisbare DNA-Strukturen mit den genetischen Merkmalen von Andreas B. übereinstimmten.

Demgegenüber fand Martin Sch. mit seiner Version nur bei einem Laienrichter Gehör: Der 35-Jährige hatte vermutet, der wahre, ihm unbekannte Täter habe ihn im "Magaluf" stürmisch begrüßt und bei der Umarmung die DNA der umgebrachten Heimhelferin auf seine Kleidung übertragen.

Die Ermittler der Polizei hatten in seiner Wohnung in einem Vortest - dem sogenannten Blue Star-Verfahren - auf einer Jean und einem Gürtel stark positive Anzeichen auf fremde DNA-Spuren - vermutlich Blut - entdeckt. Die DNA-Koryphäe Stein überprüfte die verdächtigen Gegenstände und landete aufschlussreiche Treffer: An der Gürtelschnalle wurden DNA-Merkmale nachgewiesen, die eindeutig der umgekommenen Heimhelferin zugeordnet werden konnten.

Zudem förderte die Sachverständige am Gürtel und an der Hose Mischspuren zutage, wobei das Hauptprofil zweifelsfrei zu Martin Sch. passte und das Nebenprofil mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Halina H. hindeutete. Es sei um 2,8 Billionen mal wahrscheinlicher, dass die Nebenspur von der Heimhelferin und nicht von einer bisher unbekannten Frau stammt, hatte Stein in ihrem Gutachten erläutert.

 

 

 

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