Israel

Ansturm auf deutsche Reisepässe

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Crica 100.000 Israelis sind im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft.

"Jetzt können Sie ganz legal nach Beirut fahren", gratulierte die Konsularbeamtin der deutschen Botschaft in Tel Aviv einem jungen Israeli, als sie ihm einen deutschen Reisepass überreichte. "Ach das ist überflüssig, da fahre ich im Panzer hin", witzelte der Israeli. Der Wartesaal im 19. Stock des Tel Aviver Hochhauses in der David-Frisch-Straße ist meist gut gefüllt. Zwischen der Sicherheitsschleuse mit Panzerglas steht ein Sicherheitsmann, der jedem erst einmal das Handy abnimmt. Die Umgangssprache ist Hebräisch, obgleich die meisten Antragsteller "Deutsche" sind.

100.000 Israelis haben einen deutschen Pass
Eine von Sima Salzberg von der Bar-Ilan-Universität verfasste Studie hat ergeben, dass etwa 100.000 israelische Staatsbürger einen deutschen Pass in der Tasche haben. Jährlich beantragen rund 7000 Israelis einen deutschen Pass, seit 2000 insgesamt etwa 70.000. Andere europäische Länder wie Polen oder Rumänien hätten in diesem Zeitraum jeweils nur etwa 6000 Pässe für Israelis ausgestellt. Ein Recht auf einen Pass haben deutsche Juden (und deren Nachkommen), denen von den Nazis widerrechtlich die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war. Nach dem Krieg und teilweise bis heute gibt es deutsche Juden, darunter auch Holocaust-Überlebende, die sich geschworen haben, niemals mehr deutschen Boden zu betreten. Aber ihre Kinder und Enkel haben laut der Studie die "Scham der Eltern" überwunden und sehen eher die Vorteile eines EU-Passes: Keine Visumspflicht für die USA, freie Reisemöglichkeiten in Länder, die Israelis nicht hereinlassen, Studienstipendien und unbeschränkter Aufenthalt in jedem Land der Europäischen Union.

Nur 6.000 österreichische Pässe in Israel
Nach Auskunft einer österreichischen Konsularbeamtin in Tel Aviv gibt es insgesamt nur etwa 6000 Inhaber österreichischer Pässe in Israel, "weil die jüdische Gemeinde viel kleiner war, als in Deutschland". Nach einer Bestimmung aus dem Jahr 1992 könne jeder Österreicher, der seinen Pass in der Nazizeit verloren habe und 1948 bei der Staatsgründung Israels automatisch und "ohne Willenserklärung" Israeli geworden sei, einen österreichischen Pass beantragen. "Das ist ihr Recht, und deshalb fragen wir nie nach den Motiven. Aber aus Gesprächen geht hervor, dass die Kinder und Enkel einen Kreis schließen wollen, also den Pass wegen eines emotionalen Gepäcks beantragen", sagt die Beamtin.

Ein historisches Kuriosum gibt es im 18. Stock des Hochhauses in der Frisch-Straße, in der spanischen Botschaft. Deren Konsularabteilung bestätigt, dass sephardische Juden, deren Vorfahren nachweislich durch die Inquisition aus Spanien vertrieben worden sind, bei der Beantragung der spanischen Staatsbürgerschaft bevorzugt werden. "Natürlich ist es schwierig, die spanische Herkunft nachzuweisen, weil es damals noch keine Register gab", sagt die zuständige Beamtin.

Staatsbürgerschaft kann vererbt werden
Während Europa Doppelstaatsbürgerschaften grundsätzlich ablehnt, gibt es noch eine weitere kleine Gruppe von Israelis mit zwei Pässen. Wer einen deutschen Vater hat, erbt automatisch dessen deutsche Staatsbürgerschaft. Seit 1975 garantiert das Gesetz Geschlechter-Gleichberechtigung. Seitdem darf auch die Mutter ihre Staatsbürgerschaft weitervererben. Dov E. aus Oldenburg, vor 1975 geboren und inzwischen nach Israel ausgewandert, wuchs in Deutschland als Staatenloser auf. Seine Mutter ist zwar eine Deutsche, sein Vater Norweger. Deshalb verweigerten ihm die Behörden deutsche Papiere. Deutsche Bundesbürger mit israelischem Pass dürfen in Israel sogar Wehrdienst leisten, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu verlieren. "Sie dürfen nur den dreijährigen Pflichtdienst leisten, sich aber nicht zu Offizierskursen oder einer Verlängerung ihres Militärdienstes freiwillig melden", bestätigte auf Anfrage die Konsularabteilung der deutschen Botschaft.

Die neue Studie soll in der Zeitschrift "Jakinton" aus Anlass der Feiern "75 Jahre Einwanderung aus Deutschland nach Palästina" veröffentlicht werden. Die "Jeckes" (Jekkes), wie die aus Deutschland stammenden Juden in Israel genannt werden, haben einen eigenen Verein und sind bemüht, ihre deutsche Kultur zu propagieren. Reuven Merchav, ehemaliger Botschafter und heute Vorsitzender der "Vereinigung von Israelis aus Zentraleuropa", oder kurz "Jeckes-Organisation", ist ein entschiedener Gegner der Beantragung europäischer Pässe: "Für mich gibt es nur einen blauen Pass mit dem Wappen unseres Staates. Und nur damit sollten wir uns im Ausland identifizieren."

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