Lebenslange Qual

Missbrauchsopfer plant "Marsch auf Rom"

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Ein Missbrauchsopfer will die Kirche "wachrütteln und plant einen Marsch auf Rom.

Der Papst-Brief zum tausendfachen Missbrauchsskandal in Irland kommt für ihn spät. Mindestens zwei Jahre hat der US-Amerikaner Bernie McDaid auf ein ähnliches Zeichen des Vatikans zu diesem dunklen Kapitel der Kirchengeschichte gewartet. Ein Kapitel, das auch McDaids ist. Der 52-Jährige aus Boston trat 2008 als Missbrauchsopfer der Katholischen Kirche vor Benedikt XVI. In der Kapelle der päpstlichen Nuntiatur in Washington offenbarte er ihm von Angesicht zu Angesicht seine peinvollen Erlebnisse als Messdiener einer Kirchengemeinde in Boston.

"Wachrütteln"
McDaid war einer derer, die den Skandal der Erzdiözese an der US-Ostküste vor Gericht gebracht hatten. Nun plant er mehr: "Einen Marsch auf Rom, der der Kirche zeigt: Nehmt die Sache endlich ernst und handelt!" Teilnehmen sollen Opfer und ihre Familien ebenso wie Kirchenmänner und Gläubige.

"Wachrütteln" will er all diejenigen, die noch immer nicht begriffen haben, dass sie den Hunderten von sexuell missbrauchten Opfern in ihren Gemeinden mehr schulden als Worte oder gar Entschädigungsgelder. "Das reicht nicht für den Seelenfrieden", sagt McDaid. "Kaum jemand kann sich vorstellen, was es für einen Zwölfjährigen bedeutet, von einem Mann missbraucht zu werden, ein Leben lang den Schmerz, die Pein, die Scham mit sich zu tragen."

Drogen und Alkohol als Reaktion auf Missbrauch
Er selber hat es erlebt. Der Sohn strenggläubiger irischer Einwanderer wurde regelmäßig von seinem Pfarrer zu sexuellen Handlungen gezwungen. Reverend Joseph Birmingham lud seine Messdiener zu Autofahrten ein, zog sie nach Belieben aus dem Unterricht der katholischen Schule, um sie in einer Umkleidekabine zu missbrauchen, oder bedrängte sie qualvoll nach der Messe in der Sakristei. "Wenn ich meiner Mutter sagte, dass ich nicht mit ihm fahren wollte, schüttelte sie den Kopf, denn ein Geistlicher war für sie eine absolut vertrauenswürdige Autorität", berichtet er.

McDaid schmiss die Schule, flüchtete sich in Drogen und Alkohol und lieferte sich Kämpfe mit der Polizei. "Was mit mir los war, das begriff ich erst, als die Missbrauchslawine der Diözese vor Gericht losgetreten wurde." Er sagte aus und lernte, dass er einer von Hunderten Buben gewesen war, die von katholischen Geistlichen malträtiert wurden. Nach der Prozesswelle mussten 62 von 357 Pfarreien in der Erzdiözese geschlossen werden. Die Kirche zahlte Milliarden Dollar an Entschädigungen.

Schänder bereits verstorben
Der Bostoner Kardinal Bernard Francis Law, der vor den sexuellen Verfehlungen seiner Priester die Augen verschlossen hatte, trat erst zurück, als 58 Priester ihn offen dazu aufforderten. Bis heute darf er in einer der berühmtesten römischen Basiliken, Santa Maria Maggiore, die heilige Messe zelebrieren.

McDaids Schänder Birmingham war da bereits gestorben, doch einer, der laut Gerichtsakten jahrelang im Detail über die Missbrauchsfälle informiert war und alle Täter deckte, war inzwischen zum Bischof von Manchester im Bundesstaat New Hampshire befördert worden. McDaid, der inzwischen eine Therapie begonnen hatte, fuhr hin, um ihn mit seiner Schuld zu konfrontieren. "Er sagte, er wolle darüber nachdenken."

"Unternommen hat er nichts"
Dann, 2008, nahm er allen Mut zusammen: "Heiliger Vater, ich möchte, dass Sie wissen, dass Ihre Kirche von einem Krebsgeschwür befallen ist", sagte McDaid dem Pontifex ins Gesicht. "Unternehmen Sie etwas gegen dieses Geschwür!" Der Papst habe seine Hände genommen und sie an seine Brust gedrückt. "Er war betroffen", berichtet McDaid. "Aber unternommen hat er nichts." Und solange das nicht geschehe, könne er einfach keinen Seelenfrieden finden.

"Sie müssen sich erheben und sagen: Es tut uns leid", fordert McDaid. "Sie müssen die Schuldigen ihrer Positionen entheben und sich um die Gesundheit und Ausbildung der Opfer kümmern." Um dem Nachdruck zu geben, will er "Hunderte Menschen zum Vatikan mobilisieren". In diesen Tagen wollen er und einige Leidensgefährten der Bostoner Diözese nach Washington kommen, um über ihre Pläne für den "Marsch auf Rom" mit hochrangigen Kirchenvertretern zu beraten. Noch dieses Jahr soll es losgehen, so hofft der Ex-Katholik. Dafür betet er. Allein.

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