Schwere Vorwürfe

Geheimdienst schützte Karadzic

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Nach der Festnahme von Radovan Karadzic in Belgrad pocht Brüssel auf weitere Verhaftungen von Kriegsverbrechern. Belgrad strebt in die EU.

Serbiens Innenminister Dacic kritisiert scharf den Geheimdienst des Landes: Dieser soll jahrelang Radovan Karadzic versteckt haben. In Zeitungen wird Dacic zitiert: "Der Geheimdienst hat ihn geschützt, der Geheimdienst hat ihn jetzt übergeben".

Karadzic, einer der meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher, war nach offiziellen Angaben am Montagabend in Belgrad festgenommen worden.

Er hatte offenbar jahrelang unbehelligt unter falschem Namen in Belgrad gelebt und eine alternativmedizinische Praxis betrieben.

Überstellung nach Den Haag
Karadzic dürfte schon am Wochenende an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen für Ex-Jugoslawien überstellt weden. Dies kündigte am Mittwoch Bruno Vekaric, Sprecher des serbischen Sondergerichtes für Kriegsverbrechen, an. Ein genauer Termin könne zunächst noch nicht angegeben werden, meinte Vekaric. In Den Haag wird er in dem gleichen Gefängnis untergebracht wie Slobodan Milosevic. Vor dem UN-Tribunal will er sich selbst verteidigen.

Hier klicken: So lautet die Anklage

Protest der Radikalen
Karadzic wurde gleich nach der Festnahme von einem Ermittlungsrichter des Belgrader Sondergerichtes einvernommen, der daraufhin den Beschluss fasste, dass die Voraussetzungen für seine Überstellung an das Haager Gericht erfüllt seien. Karadzic bzw. sein Anwalt haben eine dreitägige Frist, um Berufung einzulegen. Die Serbische Radikale Partei hat "massive Proteste" gegen die Auslieferung Karadzics an das UNO-Gericht angekündigt, ohne einen Termin zu nennen.

Proteste in Belgrad
Einige Dutzend Anhänger serbischer nationalistischer Organisationen haben unterdessen im Stadtzentrum Belgrads gegen die Festnahme des bosnisch-serbischen Ex-Präsidenten protestiert. Die Demonstranten, die von einem großen Polizeiaufgebot auf dem Republikplatz umzingelt wurden, bewarfen die Ordnungshüter mit Stühlen aus den umliegenden Cafés und Knallkörpern. Den Protestlern schlossen sich auch der Generalsekretär der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Aleksandar Vucic, sowie Karadzic' Bruder Luka an.

Demonstranten zerschlugen außerdem mehrere Statuen einer Freiluft-Ausstellung, die derzeit im Stadtzentrum stattfindet. Verletzte hat es laut ersten Berichten nicht gegeben.

EU fordert nun Festnahme von Mladic
Der französische Außenminister und EU-Ratsvorsitzende Bernard Kouchner hat klar gemacht, dass die Europäische Union von Serbien nach der Festnahme des bosnisch-serbischen Ex-Präsidenten in Belgrad weitere Verhaftungen von Kriegsverbrechern erwartet. "Es gab eine Festnahme, aber das genügt nicht", sagte Kouchner nach einem Treffen der EU-Außenminister am Dienstag in Brüssel.

Kouchner spielte damit auf die noch flüchtigen Angeklagten des Haager UNO-Kriegsverbrechertribunals, den ehemaligen Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, und den früheren Chef der kroatischen Serben, Goran Hadzic, an. Der serbische Premier Mirko Cvetkovic hat unterdessen am Dienstag Mladic und Hadzic aufgefordert, sich zu stellen. "Das wird für sie wie auch das serbische Volk gleichermaßen gut sein", betonte der Ministerpräsident in einer Aussendung.

Handelserleichterungen
Nach der Festnahme Karadzic' durch die serbischen Behörden hat sich EU-Erweiterungskommissar für eine schnelle Umsetzung von Handelserleichterungen der EU gegenüber Serbien ausgesprochen. Die EU sollte jetzt damit beginnen, ein entsprechendes Interimsabkommen mit Serbien umzusetzen, sagte Olli Rehn am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem serbischen Außenminister Vuk Jeremic in Brüssel.

Rehn betonte, die EU-Botschafter würden die nächsten Schritte "in Kürze" prüfen. "Ich halte die Festnahme von Radovan Karadzic für einen Meilenstein in den Beziehungen Serbiens mit dem ICTY (dem UNO-Kriegsverbrechertribunal, Anm.)", sagte Rehn. Durch Umsetzung des an das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geknüpfte Interimsabkommen würde die EU Serbien helfen, seine Leistungsbilanz zu verbessern, um bald offiziellen EU-Kandidatenstatus zu erzielen, sagte der EU-Kommissar.

Zusammenarbeit Serbiens mit dem UNO-Tribunal
Gleichzeitig betonte Rehn, die volle Zusammenarbeit Serbiens mit dem UNO-Tribunal sollte zur Festnahme der beiden verbleibenden Angeklagten führen, vor allem jener des früheren bosnisch-serbischen Armeechefs Mladic. Ohne volle Zusammenarbeit mit dem UNO-Tribunal wäre auch der EU-Kandidatenstatus nicht möglich. Jeremic versicherte, die serbische Regierung werde ihr Bestmögliches tun, um auch Mladic festzunehmen.

Unterdessen löste die Nachricht über die Festnahme des bosnisch-serbischen Ex-Präsidenten in den europäischen Ländern hauptsächlich positive Reaktionen aus. Es sei klar, dass dies der "Beginn vom Ende des tragischsten Kapitels in der Geschichte Bosniens ist", meinte der internationale Bosnien-Beauftragte, Miroslav Lajcak. Die Festnahme werde den EU-Beitritt Serbiens in der Zukunft ermöglichen, meinte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in Warschau. Das tschechische Außenministerium wertete sie wiederum als ein "bedeutendes positives Signal".

Russland zurückhaltend
Russland reagierte auf die Festnahme Karadzic' hingegen zurückhaltend. Die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers an das Haager UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien sei "eine innere Angelegenheit Serbiens", erklärte ein Sprecher des russischen Außenministeriums am Dienstag der Nachrichtenagentur RIA Novosti. Moskau hofft aber, dass der Prozess gegen Karadzic "unvoreingenommen verlaufen" werde, sagte Außenamt-Sprecher Andrej Nesterenko.

Foto: (c) AP

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Der frühere bosnische Serben-Führer Karadzic (hier im Bild mit Ratko Mladic) ist in Serbien in Haft. Unklar sind die Umstände seiner Festnahme.

Karadzic soll für das Srebenica-Massaker verantwortlich sein - er war 12 Jahre auf der Flucht.

Sein Anwalt erhebt schwere Vorwürfe: Karadzic soll bereits am Freitag festgenommen worden sein - in einem Linienbus.

Karadzic wird für Liquidationen, Morde, Deportationen, inhumane Akte und andere Verbrechen gegen Muslime, Kroaten und andere Nicht-Serben während des Krieges in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) verantwortlich gemacht.

Bei dem Massaker in Srebrenica wurden bis zu 8.000 Bsoniaken ermordet.

Das Massaker zog sich über mehrere Tage hin und verteilte sich auf eine Vielzahl von Tatorten in der Nähe von Srebrenica.

Karadzic (hier mit seiner Frau Ljilkana Zelen-Karadzic im jahr 1991) war einer der meistgesuchten Kriegsverbrecher der Welt.

Die Freude unter den Muslimen in Serbien war groß - sie bejubelten seine Festnahme..

..bis in die Morgenstunden wurde in Belgrad gefeiert.

Doch auch Sympathisanten gingen auf die Straße. Sie wurden von der Polizei verhaftet.

Die Polizei musste das Gerichtsgebäude sichern, in dem sich Karadzic befindet.

Weißer Bart, lange Haare, Brille: So tarnte sich Karadzic die letzten Jahre - und arbeitete als Arzt für Alternativ-Medizin in Belgrad.

Niemand konnte im Arzt mit dem Namen Dragan Dabic, der in einer privaten Praxis tätig war, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher erkennen.

Das Haus von Karadzics Frau Ljiljana in Pale (bei Sarajewo). Sie wurde kurz vor dem Zugriff informiert. In einer ersten Stellungnahme zeigt sie sich geschockt - aber auch erleichtert, dass ihr Mann am Leben ist.

Journalisten beziehen Stellung vor dem Gefängnis in Scheveningen, in dem die UN auch Karadzic einsperren wird.

14. April 1994: Besuch der orthodoxen Ostermesse in Pale.

Mit dieser Visitenkarte ging Karadzic alias "Dragan Daric" dem Beruf als Alternativ-Mediziner nach.

Die Randalierer zerstörten auch die Ware von Händlern in der Innenstadt.

Viele von ihnen schrien "Verrat"

Einige Randalierer wurden festgenommen.

Aus Zorn randalierten sie - und griffen die Polizei mit Fackeln, Flaschen und Stühlen aus nahen Restaurants an.

Sie protestierten gegen die Festnahme ihres "Führers".

Das Versammlungsverbot der Behörden blieb ohne Wirkung: In Belgrad gingen Karadzic-Anhänger auf die Straße.

Am Platz der Republik in Belgrad kamen rund 250 Personen zusammen.

Die Polizei schirmte sie ab.