Porträt

Natascha: "Er fesselte mich beim Sex"

24.02.2013


"3096 Tage" hat am Montag in Wien Weltpremiere. Dazu das große Interview.

Zur Vollversion des Artikels
© APA, List
Zur Vollversion des Artikels

Der "Bild"-Kolumnist N. Körzdörfer traf Natascha Kampusch - hier sein sensibles Porträt. Wer dem ewigen Rätsel Natascha Kampusch (25) die kleine schmale Hand drückt, spürt Mitleid.

Hier der Trailer zum Film

1. Eindruck: Scheu, sanft, unsicher, stur. Sie ist klein, pummelig -ihre blauen Augen blitzen schlau und ihre Sprache swingt. Kein Parfum.

2. Eindruck: Traumatisiert. Intelligent. Altklug. Ängstlich. Misstrauisch. Perfektionistisch. Sie sagt oft "Ja" und "Nein" und schweigt. Sie denkt lange nach - dann kommen Schachtel-Sätze, die durchdacht sind und durchlebt.

3. Eindruck: Sie hat eine Sehnsucht nach Zuneigung, Anerkennung, Respekt und Liebe. Sie ist eine junge schöne Frau, die aus der Hölle floh -und im Fegefeuer ihrer Gedanken lebt. Sie ist ein Vogel ohne Flügel. Sie ist eine Blume, die blühen will.

Kind ohne Kindheit

Sie ist immer noch ein Kind ohne Kindheit. Sie ist eine Frau, die ein Recht auf Liebe hat. Sie liebt es, wenn sie geschminkt wird -das ist wie streicheln. Sie blüht auf, wenn unser Fotograf Frank Zauritz sich nur um sie kümmert -dann ist sie sie selbst - ihr eigenes Foto-Model. Sie spiegelt sich in der Kamera. Die Kamera liebt sie. Ein Wiener Journalist hat ihr eine Digital-Kamera geschenkt. Sie wäre gern Fotografin. Sie würde auch gern singen. Sie sucht noch ihre Zukunft. Wenn sie nach vorne denkt, lächelt sie. Sie trägt keine Uhr -Zeit ist ein unwichtiges Maß. Sie ist Vegetarier -als sie Hühnersuppe aß gegen Erkältung, musste sie fast weinen.

Sie ist einsam
Zufrieden ist sie, wenn sie Tee trinkt, ihre Guppy-Fische füttert, ihre Orchideen aus dem Baumarkt gießt -und wie jeden Abend ein Bild nur für sich selbst malt - mit einem Schul-Malkasten. Glücklich ist sie, wenn sie Schlittschuh läuft. Am glücklichsten ist sie im Friseur-Stuhl ihrer Freundin -das Streicheln der Haare ist auch eine Art Zärtlichkeit. Sie hat einen jungen Mann kennengelernt, der ihr gefiel. Aber der wollte dann gleich nach Afrika. Das war ihr zu verrückt. Sie liebt Wien -und Pizza Rucola.

Letzter Eindruck
Letzter Eindruck: Stark. Klug. Lustig. Voller Hoffnung. Wir dürfen nicht über "Natalja" Kampusch urteilen (" Natascha" ist der Kosename) - weil keiner von uns 3096 Tage und Nächte in der Hölle war. Wir können nur versuchen, zu verstehen. Zum Abschied malt sie mir ihr Signum in ihr Buch -keine Unterschrift. Es ist eine rote Blume, die aus einem "N" wächst. Die Blume wird blühen.

Hier das Interview: »DieJahre imVerlies waren wie ein Elektroschock!«

Frau Kampusch, hatten Sie Angst, als Sie den Film sahen?

Natascha Kampusch: Ein wenig. Beklemmung bei einigen Szenen. Das grausame Geräusch, wenn sich die Verliestür schließt. Der Blick von außen durch die kleine Öffnung in mein Gefängnis - ich habe das Loch ja immer nur von innen gesehen. Dann die Gewalt-Szenen, als der Täter auf mich einschlägt. Das tat mir wieder weh.

Der Film und die Wirklichkeit ...

Natascha Kampusch:  Ich habe im Verlies nie geschrien! Mein Schmerz war ein stummer Schrei -doch die Empfindung war genauso wie im Film -wie ein Elektroschock!

Wir sehen auch Sex-Szenen. Der Täter fesselt seine und Ihre Hand mit einem Kabelbinder zusammen.

Natascha Kampusch:  Er fesselte mich beim Sex, damit ich ihn im Schlaf nicht überwältigen konnte! Wie geht es Ihnen heute?

Natascha Kampusch:  Gut. Aber ich lebe immer noch in einem gefühlten Gefängnis meiner Gedanken. Ich dachte, ich wäre endlich frei -aber ich fühle mich nicht frei.

Warum?

Natascha Kampusch:  Ich bin traumatisiert. Ich lebte 8 Jahre in einem Verlies - und dachte, es wäre lebenslänglich. Eine Retraumatisierung erfuhr ich durch Teile der Öffentlichkeit. Ich fühlte mich selbst als Täter hingestellt -als hätte ich selbst Schuld an meinem Schicksal!

Wie sieht Ihr Tag aus?

Natascha Kampusch:  Ich stehe spätestens gegen 7 Uhr auf, weil ich nicht länger schlafen kann. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, länger zu schlafen. Dann brühe ich mir einen Tee und füttere meine kleinen Guppy-Fische. Ich habe im Ausverkauf ein 140-Liter-Aquarium gekauft. Dann gieße ich meine Orchideen - ich habe sie aus dem Baumarkt gerettet. Dann wasche ich meine Wäsche und bügle sie.

Sind Sie Single?

Natascha Kampusch:  Nein, das ist mir zu privat.

Haben Sie noch Kontakt mit Ihrer Mutter und Ihrem Vater?

Natascha Kampusch:  Ja, aber wenig. Vielleicht einmal im Jahr.

Warum?

Natascha Kampusch:  Wir haben uns auseinandergelebt.

Wer ist Ihre beste Freundin?

Natascha Kampusch:  Das ist meine Friseurin. Ich bin am glücklichsten, wenn ich bei ihr im Stuhl sitze und sie mir meine Haare macht. Das ist ein Glücksgefühl für mich."

Zurück zum Film -man hat Angst davor! Aber am Ende ist man beeindruckt von der Balance aus Horror und Hoffnung?

Natascha Kampusch: Ja, ich habe mich wiedererkannt, obwohl die Wirklichkeit noch schlimmer war. Aber das kann man im Kino wohl nicht zeigen, denn es sollte ja kein Horrorfilm werden.

Im Film schreien Sie in Ihrem 5-qm-Verlies! Tut das heute noch weh?

Natascha Kampusch:  Ich habe da unten nie geschrien. Mein Körper konnte gar nicht schreien. Es war ein stummer Schrei -doch die Empfindung war genauso wie im Film -wie ein innerlicher Elektroschock!

Haben Sie immer noch Ängste?

Natascha Kampusch:  Es ist Teil meiner Identität! Aber ich habe damit abgeschlossen! Ich verdränge es! Ich gehe zur Therapie! Ich lese psychologische Bücher -jetzt gerade die Traumdeutung von Sigmund Freud.

Haben Sie Albträume?

Natascha Kampusch:  Nein. Aber ich habe einmal versucht, mich zu entspannen. Plötzlich kamen alle dunklen Schatten wieder - wie eine Lawine! Etwas hatte alle Schranken geöffnet und alle Ängste waren wieder da! Ich musste sofort aufhören!

Wie geht es Ihrem Körper?

Natascha Kampusch:  Ich wog im Verlies 40 Kilo. Ich kämpfe immer mit Kalorien und meinem Kreislauf. Ich kann auch nicht mehr Skifahren. Aber manchmal fahre ich Schlittschuh. Ich bin Vegetarierin. Ich würde nie ein Tier essen. Als ich jetzt erkältet war, wollte ich keine Medizin nehmen und aß Hühnersuppe. Ich habe fast geweint. Aber ich tröstete mich, dass das Huhn ja eh tot ist. Ich würde gerne reiten, aber mir tun die Pferde leid.

Was empfinden Sie heute gegenüber dem Täter (er beging Selbstmord mit 44, Anm.)? Hass? Vergebung? Verdrängung?

Natascha Kampusch:  Nichts - Gleichgültigkeit. Das liegt weit hinter mir.

Kann man nach Ihrem Leid noch an Gott glauben?

Natascha Kampusch:  Ja -aber nicht an den alten Mann mit dem Bart.

Haben Sie Idole?

Natascha Kampusch: Ja -Atom-Pionierin Marie Curie (Doppel-Nobelpreis, Anm.). Ich schätze auch Romy Schneider, deren Sissi-Filme ich gesehen habe -und die so tragisch früh starb.

Welche Bücher lesen Sie am liebsten?

Natascha Kampusch:  Die Psychoanalytikerin und Kindheits-Forscherin Alice Miller (Das begabte Kind).

Hier gehts zu den aktuellen Kino-Filmtrailern.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel