"Geh nicht zu nah ran!"

'Trojanische Pferd' im Burgtheater-Kasino

05.05.2012

Matthias Hartmann kürzt die Ilias auf lange viereinhalb Stunden.

Zur Vollversion des Artikels
© Reinhard Werner/Burgtheater
Zur Vollversion des Artikels

Ein Krieg, von dem niemand mit letzter Sicherheit sagen kann, ob und wo er wirklich stattgefunden hat. Dichtung und Wahrheit lässt sich kaum voneinander trennen bei dem, was sich als "Der Trojanische Krieg" in das kollektive Gedächtnis unserer Kultur eingebrannt hat. Seit Tausenden Jahren hat er die Fantasie angeregt und Geschichten von Heldentum und Grausamkeit, Liebe und Tod, Menschen und Göttern hervorgebracht. Wie bringt man das auf die Bühne? Mit Papierschiffchen, ein paar Speeren und Rüstungsteilen sowie vielen Schaumstoff-Quadern, aus denen sich eine Mauer ebenso bauen lässt wie ein Pferd. So lautet die Antwort, die Matthias Hartmann seit gestern mit "Das Trojanische Pferd" im Kasino des Burgtheaters gibt.

Mit Tolstois "Krieg und Frieden" hat der Burgtheaterdirektor sehr erfolgreich begonnen, sich an großen Stoffen der Weltliteratur abzuarbeiten und einen zeitgemäßen Weg zu suchen, sie abseits bekannter Dramatisierungen auf die Bühne zu bringen. Für die Ilias führt ihn dieser Weg in ein vom subversiven Theater-Denker Jan Lauwers ausgestattetes Spielzimmer. Es ist mit einem weichen, mit Motiven aus Rubens' "Daniel in der Löwengrube" bedruckten Teppich ausgelegt. Hier lässt sich basteln und balgen, ohne sich wirklich wehzutun. Am Ende schmerzen nur Rücken und Hintern der Zuschauer. Viereinhalb Stunden (inklusive zweier Pausen) können sehr lang sein, auch wenn man bedenkt, dass der Trojanische Krieg selbst zehn Jahre gedauert haben soll. Dass sich der Körper meldet, liegt auch daran, dass der Kopf nicht allzu viel beschäftigt wird.

Hartmann erzählt gerne, dass seine Dramaturgin Amely Joana Haag mit einem überdimensionierten Einkaufswagen voller Literatur und Sekundärliteratur zu den Proben angerückt sei. Wie eine penible Beweisführung, welch' unterschiedliche Geistesgrößen sich mit dem Thema beschäftigt haben, wirkt auch die Spielfassung, die - per Titeleinblendung stets korrekt die Quelle angebend - die abendländische Bibliothek als Textsteinbruch benützt: Gustav Schwab und Christa Wolf, Euripides und Walter Jens, Peter von Matt und Rudolf Hagelstange, Alessandro Baricco und Luciano de Crescenzo, Ovid und Vergil werden gemischt, ohne das recht ein System dahinter erkennbar wäre. Und natürlich Homer. "Euch hat man doch ins Hirn geschissen", ereifert sich Achilleus. "Ist das Ilias?", runzelt Odysseus die Stirn und erhält als Antwort: "Ja, das ist Schrott. Raoul Schrott."

Die Menschen als Spielfiguren der Götter, Superhelden, die Stellvertreterkriege ausfechten müssen und völlig hilflos sind, wenn ihnen göttliche Unterstützung zur Unzeit verweigert wird - das hätte das Zentralmotiv der Inszenierung werden können. Dafür hat Lauwers einen Götter-Ausguck gebaut, eine Aussichtsterrasse an einer Flanke des Olymp, von der sich Hera und Zeus, Pallas Athene, Apollon, Thetis und die anderen das menschliche Treiben aus der ersten Reihe fußfrei ansehen und dirigieren. Doch gibt es unter den Heldensagen und Griechendramen viel zu viele, die darauf warten erzählt oder zumindest angedeutet zu werden. Jeder darf mal drankommen, und am Ende hat man vieles gesehen, aber nichts durchschaut. Immerhin ist es den Griechen und den Trojanern selbst wohl nicht viel anders ergangen.

Seinen deutlichsten Durchhänger hat der Abend zwischen der ersten und zweiten Pause, als das anhebende Gemetzel chorisch beschrieben und der am iPad spielende Achilleus vergeblich beschwört wird, sich nicht schmollend den Kämpfen zu entziehen. Vom Rest bleiben vor allem einige starke Bilder und intensive Szenen im Gedächtnis. Fabian Krüger als von den Griechen beim Holzpferd zurückgelassener Sinon, der dem Danaergeschenk erst den richtigen Spin mitgeben muss, gibt dem Abend auf seine unnachahmliche Art die Klammer. Das Urteil des Paris (Lucas Gregorowicz) wird ebenso charmant nachgestellt wie seine Flucht mit der schönen Helena (Adina Vetter).

Bei den Göttern und vor allem den Göttinnen (Catrin Striebeck, Christiane von Poelnitz, Stefanie Dvorak) lässt es Hartmann deftiger zugehen als bei den Menschen. Dafür gehen das Opfer von Iphigenie (Sara Zangeneh) und der Tod des Patroklos (Sven Dolinski) deutlich stärker zu Herzen als alle Duelle der herrlichen und selbstherrlichen Helden (Daniel Jesch als Hektor, Oliver Masucci als Achilleus, Juergen Maurer als Agamemnon). Für sie ist Hartmann wenig Neues eingefallen. Erinnern wird man sich dagegen an die kindlich-naiven Zeichen: an das musikuntermalte Falten der aus 1186 Papierschiffchen bestehenden Griechenflotte und an das am Ende mit Applaus belohnte Zusammenbauen des Trojanischen Pferdes.

"Ein Pferd! Ein hölzernes Pferd!", gellt eine Kinderstimme aus dem eines Morgens plötzlich nicht mehr belagerten Troja. Sofort hört man den elterlichen Warnruf: "Geh nicht zu nah ran!" Matthias Hartmann hat sich daran mehr gehalten als einst die Trojaner. Ob das die bessere Entscheidung war, wissen die Götter.

Info
Nächste Vorstellungen im Burgtheater-Kasino am Schwarzenbergplatz: 5., 6., 12.5., 19 Uhr, Karten: 01 / 513 1 513, http://www.burgtheater.at

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel