Im Interview
Chanson-Ikone Ute Lemper: "Die Demokratie ist in Gefahr!"
01.09.2025Die Ikone des Chansons beehrte anlässlich der amfAR-Gala Salzburg. Warum die vierfache Mutter mit 62 Jahren keinesfalls an Ruhestand denkt und wie sich ihre Zuneigung zu ihrer Zweitheimat in den USA in letzter Zeit in Sorge verwandelte, erzählt Ute Lemper in MADONNA.
Wenn der gute Zweck ruft, folgt sie seinem Ruf: Bei der großen amfAR-Gala in Salzburg am letzten Sonntag begeisterte Ute Lemper (62) mit einem eindrucksvollen Auftritt, der Kunst und Haltung vereinte – ganz im Sinne des Gastgebers, Gery Keszler. Dieser hatte die deutsche Chanson-Größe, die seit vielen Jahren mit ihrer Familie in New York lebt, bereits 2017 zu seinem Life Ball nach Wien geholt und Ute Lemper mit ihrer Performance für Furore gesorgt.
"Fortschritte in Fragen von Respekt und Freiheit geraten ins Wanken..."
Bei der Österreich-Premiere der Gala zugunsten der AIDS-Forschung wollte die Künstlerin auch keinesfalls fehlen, weshalb sie sich trotz einer geplanten Hüft-OP kurzerhand in den Flieger setzte. Denn für sie gilt auch: Wenn Europa ruft, folgt sie seinem Ruf. In Zeiten von Donald Trump als US-Präsident mehr denn je, wie die vierfache Mutter (aus zwei Ehen) im MADONNA-Gespräch erklärt...
Frau Lemper, in dieser Woche hätten Sie eigentlich an der Hüfte operiert werden sollen – für die amfAR-Gala haben Sie jedoch den OP-Termin verschoben und sind von New York extra nach Salzburg gereist. Warum war Ihnen das ein so großes Anliegen?
Ute Lemper: Ja, das war – wie so oft mit Gery Keszler – eine sehr kurzfristige Entscheidung. (lacht) Aber ich habe mich sehr geehrt gefühlt, als er mich anrief und mich fragte, ob ich mitwirken würde. Gerade in diesen kritischen Zeiten ist es so wichtig, Institutionen wie die Foundation for AIDS Research zu unterstützen.
In den USA wurden ja sehr viele Förderungen zurückgezogen, die Stimmung ist reaktionär, Fortschritte in Fragen von Respekt und Freiheit geraten ins Wanken... Es fühlt sich fast an wie vor 100 Jahren in der Weimarer Republik: Die Demokratie ist in Gefahr! Deshalb habe ich auch meine eigentlich geplante Hüftoperation kurzerhand verschoben, kam also ein wenig humpelnd, um unbedingt dabei sein zu können.
Sie leben seit vielen Jahren in New York und haben die Stadt oft als Heimat bezeichnet. Wie fühlen Sie sich heute damit, in den USA beheimatet zu sein?
Lemper: New York ist eine eigene Welt – eine kleine Insel an der Ostküste, wo Menschen sehr frei und progressiv leben. Aber es ist eben nicht wie der Rest Amerikas. Deshalb wollte ich nie einen amerikanischen Pass, denn mit der Mentalität des Landes kann ich mich nicht identifizieren, wohl aber mit der New Yorker.
Hier spürt man die derzeitigen Veränderungen weniger stark, weil die Menschen auf die Straße gehen und protestieren. Das Drastischste ist derzeit die Immigrationspolitik: Viele, die hier mit Herz und Seele arbeiten – von Haushaltshilfen bis zu Pflegerinnen – leben ohne legalen Status und haben große Angst, was als Nächstes kommt.
Ihre Biografie „Zwischen gestern und morgen“ erschien vor zwei Jahren. Wo stehen Sie heute?
Lemper: Der eigentliche Titel lautet „Die Zeitreisende“, „Zwischen gestern und morgen“ ist der Untertitel. Ich habe das Buch mit 59 geschrieben, es erschien zu meinem 60. Geburtstag – und seitdem ist wieder so viel passiert, dass es mir schon lange her vorkommt. Stolz bin ich, diese Energie aufgebracht und mein Leben so intensiv reflektiert zu haben.
Das Buch ist für mich ein Zeitzeugnis meiner Generation – Deutsche der 60er Jahre, aufgewachsen im Kalten Krieg, später geprägt durch internationale Arbeit und den Fall der Mauer. Es verbindet äußere Entwicklungen mit meiner inneren Perspektive als Frau, Mutter und Künstlerin, die sich immer wieder emanzipieren musste. Eine wilde, fortlaufende Reise – und zugleich ein philosophisches Buch, das Inspiration und Orientierung geben soll, besonders für Frauen meiner Generation. Aber auch jungen Frauen.
"Ich würde gerne noch einen Fuß in Europa haben"
Haben Sie das Gefühl, dass es Rückschritte in Sachen Emanzipation gibt?
Lemper: Das glaube ich nicht – in dem Sinne, dass wir uns das nicht antun lassen und das keinesfalls wollen. Wir sind zu emanzipiert, um uns zurückzudrehen. Aber für jene, die das Privileg nicht haben, so emanzipiert zu sein, könnte die aktuelle Entwicklung gefährlich sein – gerade mit Blick auf rechte Bewegungen, Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit und politische Eingriffe.
Hier in den USA ist das Bildungsministerium aufgegeben worden, das Gesundheitsdepartement liegt in den Händen von Kennedy, der moderne Forschung zu Impfungen oder Aids blockiert. Schon nach einem halben Jahr Regierung ist vieles ins Rutschen geraten – und die kommenden Jahre könnten die Grundlagen für noch tiefere Einschnitte legen.
Wäre es für Sie denkbar, wieder nach Europa zu ziehen?
Lemper: Ja, absolut, drei meiner Kinder sind schon Collegegraduates und ausgezogen, aber der 14-jährige Kleine ist bei mir, geht noch zur Schule und möchte nicht nach Europa ziehen. Aber es ist eine Frage der Zeit... Und ich würde gerne noch einen Fuß in Europa haben: eine kleine Wohnung in Berlin, Paris oder Rom. Das wäre auch sehr vernünftig, denn die Überseeflüge, die ich ständig nehmen muss, sind ja furchtbar. Außerdem wäre es sehr wichtig und vernünftig für meine Arbeit und meine Identität.
Mein Mann ist strikt dagegen, aber der kann ja dann hier bleiben und ich lebe mein wildes Leben allein in Europa weiter. (lacht) Aber im Ernst: Es muss noch ein bisschen warten, aber es steht schon in den Karten, dass ich wieder einen Wohnsitz in Europa haben werde.
"Meine Musik ist ein Kontrast zur zunehmend digitalen Welt"
War es Ihnen als Künstlerin immer wichtig, auch in Europa präsent zu bleiben – oder verlangt das einfach der Markt?
Lemper: Unbedingt. Meine Karriere ist in Europa gewachsen und seit über 40 Jahren begleitet mich dort ein treues Publikum. Ich trete regelmäßig in England, Deutschland und nun auch wieder öfter in Österreich auf – nächstes Jahr in Graz, Wien und hoffentlich bei den Salzburger Festspielen mit meinem Marlene-Abend zum 125. Geburtstag von Marlene Dietrich.
Auch in Italien, Spanien und Griechenland habe ich viele Zuhörer:innen. Für mich ist es wichtig, das Publikum nicht nur mit Bekanntem zu bedienen, sondern auch Neues zu wagen. Wie zum Beispiel mit meiner aktuellen Platte „Pirate Jenny“, die ich mit einem New Yorker Kollegen produziert habe, völlig zeitgenössisch – mit Loops, Elektronik und Club-Feeling für ein jüngeres Publikum.
Ist das jüngere Publikum denn empfänglich für die Art von Musik, die Sie machen?
Lemper: Ja, und das freut mich sehr. Vor 20 Jahren bestand mein Publikum vor allem aus meiner eigenen Generation. Doch durch neue Projekte – etwa zu Pablo Neruda, Paulo Coelho oder Astor Piazzolla – habe ich seit gut 15 Jahren immer mehr junge Zuhörer gewonnen. Sie interessieren sich sowohl für zeitgenössisch arrangierte Stücke wie „Time Traveler“ als auch für meine One-Woman-Shows, in denen ich Chansons von Édith Piaf, Jacques Brel, Bertolt Brecht, Kurt Weill oder Marlene Dietrich singe.
Damit lebt ein Stück Kunstgeschichte auf. Und es berührt, weil es echt und menschlich ist – ein Kontrast zur heutigen, zunehmend digitalen und von KI geprägten Kunstwelt. Da stehe ich auf der Bühne, nur mit Pianist oder Band, und singe – ganz ohne Manipulation – direkt aus der Seele. Das ist in unserer Zeit eher seltsam – dadurch aber auch begehrt.
Sie sind 62 Jahre alt. Haben Sie jemals daran gedacht, sich zur Ruhe zu setzen?
Lemper: Daran gedacht habe ich schon, vor allem als der Stress zu groß wurde. Aber während der Pandemie habe ich die Pause einerseits als bedrohlich, andererseits als sehr spannend empfunden. Danach bekam ich neuen Aufwind: Ich habe meine Stimme noch einmal ganz neu entdeckt, trainiert und Tonalitäten zurückgewonnen, die ich verloren glaubte. Auch die Zeit, eigene Musik zu schreiben, habe ich sehr genossen. Ans Aufhören denke ich nicht, nur die Hüftoperation zwingt mich im Herbst zu Absagen.
Es ist die rechte Hüfte – das Bein, das ich jahrzehntelang am Broadway über den Spagat hinaus hochgeworfen habe. Nun ist das Gelenk „Knochen auf Knochen“, das Knorpelmaterial weg, und Gehen fällt schwer. Verschlimmert hat sich das während der Pandemie, als ich täglich im Central Park Speedwalking machte, um nicht nur im Haus zu sitzen.
Wenn Sie zehn Jahre vorausblicken – was würden Sie sich wünschen?
Lemper: Zunächst einmal Gesundheit, für mich, aber vor allem für meine Familie. Ich bin Mutter mit Herz und Blut und trage ständig Sorge um das Glück meiner Kinder. Darüber hinaus wünsche ich mir Frieden – dass Konflikte beigelegt und Diktaturen überwunden werden, damit Menschen ihre Rechte behalten und in Freiheit leben können. Eine gerechte Welt mit Demokratie und Gesetz ist mein größter Wunsch. Ebenso hoffe ich auf Fortschritte in der Medizin, damit Krankheiten, die heute noch unschuldige Leben fordern, endlich heilbar werden.
"Meine Kinder haben gesehen, wie wichtig es ist, einen Beruf zu haben, für den man Begeisterung empfindet"
Was möchten Sie Ihren Kindern für die Zukunft mitgeben – auch in Zeiten, die uns allen Sorgen machen?
Lemper: Im Alltag sind für mich Liebe und Spaß das Wichtigste. Meine Kinder sollen Begeisterung empfinden – ob für Schule, Bücher oder eigene Projekte – und Empathie für andere entwickeln. Ohne das droht eine Entfremdung, gerade in einer Generation, die stark vom Internet geprägt ist. Meine Älteren sind noch ohne aufgewachsen, aber der Jüngste ist völlig hineingedrückt worden. Deshalb versuche ich, ihnen menschliche Nähe zu vermitteln: Unterstützung, Umarmungen, das Gefühl, nie allein zu sein und in der Familie immer Zuflucht zu haben. Jeder von ihnen hat sein eigenes Universum an Leidenschaften, und ich stehe mit allen täglich in engem Kontakt.
Das ist natürlich schön. Aber als Karrieremutter war es wahrscheinlich nicht immer einfach, den engen Kontakt zu halten, oder?
Lemper: Nein, es gab wirklich ein paar Jahre, in denen ich nicht so viel da war. Besonders die Broadway-Jahre waren sehr schwierig, weil ich die Kinder abends nie ins Bett bringen konnte – und das hat ja einige Jahre gedauert. Aber ich habe meinen Haushalt so eingerichtet, dass immer liebevolle Menschen um sie herum waren: das Kindermädchen, das viele Jahre bei uns war, mein Mann, und die großen Geschwister, die sich um die kleineren gekümmert haben.
Wir sind ja auch eine Patchworkfamilie, in der zwei Väter mit im Spiel sind, und so hat es irgendwie funktioniert. Ich glaube, das Wichtige, was die Kinder dabei gesehen haben, ist, dass man einen Lebensbereich und einen Beruf haben kann, für den man echte Begeisterung empfindet. Nicht so, dass man die Arbeit „abdreht“ und erleichtert nach Hause kommt, weil sie endlich vorbei ist, sondern dass man sich mit Feuer, Flamme, Leib und Seele hineinkniet. Und genau das leben meine Kinder nun auch in ihren eigenen Feldern der Begeisterung.