Interview
"Teenager werden Mütter"-Star Kerstin Opiela: "Es gibt immer einen Ausweg"
15.11.2025"Teenager werden Mütter" machte Kerstin Opiela berühmt. Was sie vor und nach der TV-Show erlebt hat, erzählt sie in ihrer berührenden Biografie, die sie mit Judith Leopold geschrieben hat. Der Talk über das Buch und Mut.
"Die Kerstin" ist vielen ein Begriff: Jahrelang wirkte sie in der ATV-Realitydoku „Teenager werden Mütter“ mit. Nicht wenige meinen, die Vierfach-Mutter zu kennen und sich ein Urteil über sie erlauben zu können. Die meisten kennen aber nur einen Bruchteil von Kerstin Opielas Geschichte. In ihrer gerade erschienenen Biografie „Kerstin Unscripted“, die sie mit der österreichischen Journalistin Judith Leopold geschrieben hat, erzählt sie von ihrem Leben. Sie schreibt über die immer wiederkehrende Gewalt, die sie erlebt hat, Armut und Machtmissbrauch, über ein Leben im Kinderheim und von Obdachlosigkeit, schildert, wie schnell man in einem vermeintlichen Sozialstaat aus dem System rutscht – und wie sich alles geändert hat. In MADONNA sprechen Kerstin Opiela und Judith Leopold über das Buch, Vertrauen und Mut.
Warum war es Ihnen wichtig, Ihre Geschichte als Buch niederzuschreiben?
Kerstin Opiela: Ich hatte zum einen das Bedürfnis, meine Vergangenheit aufzuarbeiten, um damit abschließen zu können. Der zweite Grund war: Viele Kinder, viele Frauen machen ähnliche Situationen durch. Ich möchte mit meinem Buch anderen helfen, aufzustehen und zu sagen: „Stopp, ich möchte das nicht mehr!“ Viele haben den Mut nicht. Sie haben Angst, ausgelacht zu werden, nicht ernst genommen zu werden oder Angst, dass man ihnen nicht glaubt. Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn einem nicht geglaubt wird.
Wie war die Arbeit an dem Buch für Sie?
Opiela: Ich muss ehrlich sagen, das war sehr emotional. Es gibt Stellen, bei denen mir noch immer die Tränen kommen und die sich immer noch anfühlen wie eine Faust in die Magengrube. Aber je öfter ich darüber rede, umso stärker werde ich, umso mehr bewundere ich mich selbst, dass ich nie aufgegeben habe. Es gibt immer einen Ausweg. Man muss ihn nur finden.
Sie haben dieses Buch mit der Journalistin Judith Leopold geschrieben. Wie haben Sie zusammengefunden?
Judith Leopold: Das ist Kerstins Zeit bei „Teenager werden Mütter“ geschuldet und dem regen Medieninteresse an ihrer Person. Wir sind lose in Verbindung geblieben, bis Kerstin den Wunsch hatte, ihre Geschichte aufzuschreiben. Mich hat es dazu gezogen.
Opiela: Ich habe Judith erzählt, dass ich angefangen habe zu schreiben. Ich kam aber nicht oft dazu und durch meine Legasthenie hat es nicht richtig geklappt. Sie kam zu mir und ich zu ihr.
Leopold: Genau. Mit der dicken Mappe.
Leopold: Genau. Mit der dicken Mappe.
Opiela: Mit der dicken Mappe, die ich mir vom Weißen Ring geholt habe. Ich wusste damals nicht und weiß bis heute nicht, was ich alles durchleben musste. Mein Unterbewusstsein hat das Meiste oder das Größte weggesperrt. Eigentlich habe ich mir diese Akte geholt, weil ich im Kinderheim Pitten war, das geschlossen wurde. Mir haben ehemalige Heimkinder, mit denen ich in Kontakt bin, gesagt, man bekommt vom Weißen Ring eine Körperverletzungsentschädigung. Mir wurde dann aber gesagt, die gibt es nicht mehr, sie können mir nur die Akte geben. Ich habe sie mitgenommen, um sie durchzulesen und sie Judith dann still und leise zugeschoben.
Wie ging es Ihnen dabei, diese Dokumente zu lesen?
Leopold: Das hat mich ziemlich umgehauen. Wenn über einen Menschen so schwarz auf weiß geurteilt wird oder das einfach festgehalten wird, wenn man sieht, dass ein kleines Mädchen als schüchtern, zart und fast verschwindend dargestellt wird, ist das wirklich heftig. Ich musste viele Pausen machen.
Was haben das Buch und diese Auseinandersetzung für Sie verändert?
Opiela: Das Buch hat vieles für mich verändert. Der Hauptgrund, aus dem ich es geschrieben habe oder aus dem meine Kindheit und Jugend in die Brüche gegangen ist, war die Inhaftierung meines Erzeugers. Er war der Grundstein, warum mein Leben den Bach runtergegangen ist. Es ging nicht nur darum, meine Geschichte zu erzählen und damit abzuschließen. Ich möchte mit dem Buch auch abrechnen. Es gibt Themen, zum Beispiel was mein Sohn betrifft, wo das System ohne irgendeine Verhandlung, ohne Beweise entschieden hat, ihn mir zu entreißen. Meine Hoffnung ist, dass er das eines Tages liest und die Wahrheit erfährt.
Das Buch dokumentiert ein kolossales Versagen der Behörden. Haben Sie noch Vertrauen in Behörden?
Opiela: Nein. Ich vertraue keiner einzigen Behörde mehr. Meine Kinder und ich, die bei mir zu Hause leben, sind vom Jugendamt betreut. Zu Beginn dieser Betreuung kamen mir die Tränen, weil ich dachte, man will mir wieder mein Kind wegnehmen. Es kam sofort Panik auf. Aber nicht jedes Jugendamt handelt so wie bei meinem Sohn. Sie haben mich beruhigt und gesagt, das ist nicht das Ziel. Sie wollen mich unterstützen. Die Zusammenarbeit ist sehr gut.
Sie haben Judith Leopold sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Woher kam das?
Opiela: Als wir uns kennengelernt haben, hatte ich ein warmes Gefühl bei ihr. Bei Judith ist es ein Mutter-Tochter-Gefühl, das ich damals noch nie gehabt habe. Meine Mutter ist für mich da, sie bemüht sich, für ihre Enkel da zu sein. Aber sie fühlt sich nie wie eine Mutter an, sondern wie eine Freundin.
Frau Leopold, wie war es, Kerstins Geschichte anvertraut zu bekommen?
Leopold: Mir wurde sukzessive bewusst, dass es viel Fingerspitzengefühl braucht. Deswegen standen wir auch immer in sehr engem Kontakt und deswegen habe ich Sachen auch oft liegen gelassen und mir noch einmal überlegt, wie man das formulieren kann. Da war der Verlag sehr hilfreich, weil es ein paar rechtliche Rahmenbedingungen gibt und weil dort sehr sensible Menschen sind.
Viele kennen Sie aus „Teenager werden Mütter“. Was überrascht die Leute, wenn sie Sie kennenlernen?
Opiela: Sie sind immer sehr positiv und sagen: „Du bist ganz anders als im Fernsehen, du bist ja voll lieb und voll freundlich.“ Ich habe halt das Herz am rechten Fleck. Manchmal bin ich auch zu gutmütig und werde ausgenutzt. Das ist einer der Nachteile, wenn man so viel durchgemacht hat: Man will nur das Gute in den Menschen sehen. Natürlich ist nicht jeder Mensch gut, aber ich schaue immer dreimal hin. Bei mir ist es so – wenn du es viermal verspielst, ist es wirklich vorbei.
Hat Ihre Mutter das Buch gelesen?
Opiela: Noch nicht. Aber sie wird es lesen. Sie weiß, dass die Fehler, die sie gemacht hat, in dem Buch thematisiert werden. Sie hat gesagt: „Kerstin, wenn es dir hilft, schreib es.“ Sie ist stolz auf mich und sie steht hinter mir.
Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich gerne sagen?
Opiela: Dass sie geliebt wird. Dass jemand für sie da ist und sie nie alleine sein wird, weil sie eine Kämpferin ist.