Flüchtlingswelle

Asyl-Kollaps an unseren Grenzen

11.09.2015

Nickelsdorf-Alarm: 10.000 Flüchtlinge pro Tag, Situation wird immer dramatischer.

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© Reuters
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Menschen­massen. Seit Tagen reißt der Flüchtlingsstrom aus Ungarn nicht ab, der Grenzort Nickelsdorf im Burgenland ist längst Hotspot in Österreich: Zumindest 16.000 Flüchtlinge sind in den vergangenen Tagen über die österreichisch-ungarische Grenze gekommen. Nun sind es bereits 10.000 pro Tag. Was noch dramatischer ist: Ein Ende des gewaltigen Flüchtlingsstroms ist nicht abzusehen, Zehntausende sind noch unterwegs.

Gerhard Zapfl (SPÖ), Bürgermeister des überforderten Grenzortes, spricht längst von einer „wahren Eskalation der Lage“: „Die Entwicklung nimmt immer dramatischere Formen an. Eine wahre Völkerwanderung zieht durch unseren Ort. Mit dieser Menscheninvasion sind wir völlig überfordert“, so sein Alarm in Richtung Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Bisher trug Nickelsdorf die Hauptlast. Die Bereitschaft zu helfen sei groß, so Zapfl. Aber: „Die Situation wird für uns zunehmend zum Problem, die Menschen haben Angst.“ Nach der Erstversorgung an der Grenze und auf dem Nova-Rock-Gelände durch Rotes Kreuz, Bundesheer und Polizei werden die Flüchtlinge nach Wien gebracht. Rund 50 Busse sind am Freitag am Wiener Westbahnhof eingetroffen. Die Shuttlezüge von Nickelsdorf nach Wien wurden hingegen ausgesetzt. Auch der Zugverkehr von ­Budapest nach Wien ist seit Donnerstag eingestellt.

Präsident Fischer besucht den Wiener Westbahnhof
Lokalaugenschein. Bundespräsident Heinz Fischer machte sich am Freitag persönlich ein Bild von der Lage am Wiener Westbahnhof. Gemeinsam mit Caritas-Mann Klaus Schwertner und Caritas-Präsident Michael Landau besuchte er die Flüchtlinge: „Hier zeigt sich Rot-Weiß-Rot von seiner schönsten Seite“, lobte Fischer das aufopfernde Engagement der Helfer.

Mit sechs zusätzlichen Garnituren wurden die Flüchtlinge von Wien am Freitag über Salzburg nach München gebracht. In Österreich haben vergangene Woche 1.140 um Asyl angesucht. In Deutschland sind hingegen zuletzt mehr als 50.000 Flüchtlinge angekommen.

Karl Wendl

Asyl-Sturm: Warum jetzt so viele zu uns flüchten

Immer neue Rekordzahlen: Die 10 wichtigsten Fragen und Antworten zum Flüchtlingssturm.

  1. Wie gigantisch sind die Flüchtlingszahlen wirklich?
    Syrien. Vier der 22 Millionen Syrer haben ihr Land verlassen, weitere 7,6 Mio. sind innerhalb des Landes unterwegs. 1,8 Mio. Syrer sind in der Türkei, 800.00 in Jordanien, 1,2 Mio. im Libanon, 300.000 in Camps im Irak.
  2. Weshalb eskaliert jetzt die Lage auf der Balkanroute?
    „Hochsaison“. Angst vor ­IS-Vormarsch. Außerdem: Das Meer zwischen der Türkei und Griechenland ist ruhiger, ungefährlicher. Auch die Weiterreise über die Balkanroute ist jetzt weniger riskant. Nächte im Freien sind (noch) aushaltbar.
  3. Wie lange sind sie auf der Balkanroute unterwegs?
    Route. Zwischen 25 und 30 Tage. Sie setzen von Bodrum (Türkei) in Booten nach Kos oder Lesbos (Griechenland) über. Die Inseln sind nur 4, 5 Kilometer entfernt. Dann: Athen (Fähren), per Bus oder Bahn nach Mazedonien. Das Ziel ist stets die nächste Grenze Richtung Norden: Serbien, Ungarn, Österreich, Deutschland
  4. Wie viele werden noch zu uns kommen?
    Endlos. 80.000 sind noch in Griechenland, 45.000 momentan auf der Balkanroute. Etwa 200.000, schätzt UNHCR, werden es bis zum Jahresende sein.
  5. Wie hoch ist der Anteil derer, die bei uns bleiben?
    Asyl. Von den 25.000, die vergangenes Wochenende Österreich durchquerten, haben nur knapp 1.140 einen Asylantrag gestellt. Insgesamt gab es 2015 46.000 Asylanträge in Österreich. 13 Prozent der Antragsteller sind Minderjährige.
  6. Kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien?
    Zahlen. Mehr als 50 Prozent sind derzeit Syrer. Es haben aber auch 4,6 Millionen Afghanen ihr Land verlassen.
  7. Wie hoch ist der Anteil an Frauen und Kindern?
    Wechsel. Bis Ende August kamen fast ausschließlich jüngere Männer. Nun sind es verstärkt Familien mit Kindern. Derzeit 50 Prozent Männer, 25 Prozent Frauen, 25 Prozent Kinder.
  8. Warum verlassen junge Syrer/Iraker ihre Heimat?
    Wehrdienst. Sie haben Angst vorm Wehrdienst, wollen kein Kanonenfutter im Kampf gegen IS sein. Auch im Irak wurde in den kurdischen Gebieten eine Art Wehrpflicht eingeführt.
  9. Ist ausschließlich Krieg Hauptgrund für Flucht?
    Chancen. Der wichtigste Fluchtgrund ist aber die ­Perspektivlosigkeit: Das öffentliche Leben steht still. Schulen und Universitäten sind zu. Es gibt keine Jobs.
  10. Warum flüchten sie nicht in die Golfstaaten?
    Grenzen dicht. Die reichen arabischen „Bruderländer“ sind für Syrer zu. Kein Visum. Die Golfstaaten schotten sich ab. Syrer sind nicht willkommen. Asyl gibt’s nur in Europa.

Karl Wendl

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