Ein Zeuge packt aus

"Den Hai trifft keine Schuld!"

02.03.2008

Rob Stewart schildert die dramatischen Sekunden des tödlichen Unglücks, bei dem ein Wiener Anwalt starb.

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Die See ist ruhig. Die Morgensonne spiegelt sich im glasklaren Wasser. Es ist türkisblau, so intensiv, wie es das nur in der Karibik gibt. Vor der Küste der Bahamas schaukelt das 21 Meter lange, speziell für Tauchtrips modifizierte Boot „Shear Water“. Kurz zuvor war die Tauchergruppe mit ihren Instruktoren nach sieben Stunden recht ruppiger Überfahrt vom 92 Kilometer entfernten Riviera Beach, Südflorida, angekommen.

Jetzt werden Fische als ­Köder über Bord geworfen. Prompt umkreisen Schwärme hungriger Haie das Schiff: Bullen-, Tiger-, Zitronen- und Hammerhaie, mit Längen zwischen 3,5 und 5,5 Meter nach dem Weißen Hai die mächtigsten Räuber der Weltmeere.

 

Zeuge Rob Stewart beschreibt die Hai-Attacke. (Foto: TZ ÖSTERREICH)

Der Tag soll zum Höhepunkt der Taucher werden: Hautnah an einer Fütterung der Haie am Meeresgrund, totale Tuchfühlung, kein Käfig. Der ultimative Kick.

Doch Stunden später kreist ein Helikopter der US-Coast Guard über dem Boot, Tauchlehrer winken wild um Hilfe.

Der idyllische Sonntagmorgen endet in einer Tragödie: Der Wiener Anwalt Markus Groh (49) war von einem Bullenhai am Unterschenkel gebissen worden – und verstirbt am Folgetag im Jackson Memorial Hospital. Tierschützer und Tauchexperten wundern sich: Groh wurde zum ersten Todesopfer einer Haifütterung. Sein Tod löste in Österreich Trauer aus – und in den USA eine heftige Debatte über die Praxis der Haiköderung.

Exklusive Reportage
Tour-Organisator Jim Abernethy, berühmt als „Vater“ der Haifütterung ohne Tauchkäfige, verweigert nach Grohs Tod weiter jegliche Stellungnahme. Doch nun enthüllt im Gespräch mit ÖSTERREICH der mit Abernethy befreundete Doku-Filmer Rob Stewart, was sich in jenen fatalen Morgenstunden am Meeresgrund tatsächlich abspielte. „Ich habe mehrmals mit Jim telefoniert“, sagt der „Hai-Fürsprecher“, wie ihn die US-Medien nennen und dessen Film Sharkwater zum internationalen Hit wurde. Er sitzt an einem Pier im Biscayne National Park, schüttelt den Kopf: „Es war ein schrecklicher Unfall – eine furchtbare Verkettung von Umständen.“

Chronologie
Was ist wirklich passiert? Zur Fütterung werden zerhackte, noch blutende Fischstücke, meist Makrelen, in ein löchrige Plastikbehälter gepackt. Ein Profitaucher wird, so Stewart, der Abernethy auf solchen Trips früher begleitete, zum „Shark Rodeo Guy“, einer Art Zeremonienmeister. Die Gruppe taucht zum Meeresgrund – und formiert sich im Halbkreis um ihn. „Sie bilden eine kleine Arena“, so Stewart. Markus Groh und sieben seiner Tauchkumpel aus Österreich dürften am sandigen Grund gekniet haben. Idealerweise sollten sie mindestens drei Meter vom Köder entfernt sein. Binnen Sekunden rasen die eleganten Körper der Riesenhaie am Köderkäfig und den Tauchern vorbei.

Adrenalin-Kick
Beim ersten Mal bliebe einem fast das Herz stehen, sagt der Hai-Fan. Doch Momente später sei alle Furcht verflogen, so Stewart: „Wer Haie unter Wasser trifft, hat keine Angst mehr vor ihnen.“ Es sei ein einzigartiges Erlebnis, schwärmt er weiter: „Dutzende Haie umkreisen dich, sind Zentimeter entfernt, mitunter stupsen sie mit ihren Flossen an.“

Doch an diesem Morgen im fahlen Licht in 25 Meter Tiefe kommt es zur Katastrophe: Die Haie beginnen extrem aufgeregt durch den plötzlichen Futtersegen, die Fischteile zu verschlucken. Groh ist offenbar zu knapp am Futterkorb. Ein Hai nimmt den Behälter ins Maul, versucht damit wegzuschwimmen – und kollidiert mit dem Österreicher. Groh wird umgestoßen, dabei wird vom Meeresgrund mächtig Sand aufgewirbelt.

Abernethy, der sich den Vorfall von seinen Tauchlehrern detailliert schildern ließ, erzählte seinem Freund über die entscheidenden Sekunden: Als der durch den wirbelnden Sand „blinde Hai“ die Köderkiste wieder erwischen will, beißt er „irrtümlich“ in Grohs Bein. Schwer blutend steigt der Wiener, eskortiert von drei Tauchern, zur Meeres­oberfläche auf.

Verblutet
Der vorläufige Obduktionsbericht widerspricht ersten Theorien, dass Groh durch das zu rasche Auftauchen an einer Lungendehnung starb. Er sei vielmehr „verblutet“, zitiert die Miami-TV-Station NBC6 behandelnde Ärzte. Dabei sei die „Shear Water“ mit exzellenten Erste-Hilfe-Geräten ausgestattet. Es sei sofort ein Druckverband angelegt worden, so Stewart, wie er sonst bei Schussopfern verwendet wird – und die Coast Guard verständigt.

Abernethy sei „am Boden zerstört“, berichtet sein Freund: Er bekomme nicht aus dem Kopf, dass ihm Groh zwei Tage vor dem Trip ein Bild seiner Tochter zeigte.

Nun tobt die Debatte ums Haifüttern: In Florida war die Praxis seit 2001 verboten. Deshalb musste Abernethy auf die Bahamas ausweichen. Dort habe ihn, so ein CNN-Report, Neal Watson, Chef der Bahamas-Tauchervereinigung, gewarnt: „Es war nicht eine Frage, dass einmal etwas passiert – sondern wann.“ Doch es stünden auch kommerzielle Interessen am Spiel, sagt Stewart: Haitauchen ist eine Millionen-Dollar-Industrie.

Und Watson betreibe selbst Touren. Dabei sei die Praxis für die Tiere ein Segen: Ohne diesen Touristenmagneten hätte die „lokale Fischer-Mafia“ die Haie längst ausgerottet, behauptet Stewart. In den USA wären Köderungen wegen des Fütterungsverbots wilder Tiere untersagt worden, nicht wegen „extremer Gefahr“. Auch Stewart schränkt ein: „Nur wirklich erfahrene Taucher sollten die Trips machen.“

Abernethy, gegen den Privatanwälte Schadenersatzklagen prüfen, hat seine Tauchveranstaltungen keinesfalls eingestellt. Bei einem Lokalaugenschein am Dock hinter den Büro seiner Tauchfirma Scuba Adventures laden Helfer Tauchtanks in ein Boot. Neue Kunden sind eher willkommen als Reporter: „Verlassen Sie dieses Areal sofort“, droht ein Mitarbeiter prompt mit der Polizei.

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