Wirbel um Ex-Außenministerin

Kneissl tritt bei Putsch-Gedenken in türkischer Botschaft auf

04.07.2020

Eine Einladung des türkischen Botschafters in Wien sorgt für politischen Unmut im österreichischen Parlament: 

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© Wolfgang Wolak
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Kommende Woche findet an der diplomatischen Vertretung eine Veranstaltung zum Gedenken an den gescheiterten Putschversuch vor vier Jahren in der Türkei statt. Als Gastrednerin soll die ehemalige Außenministerin Karin Kneissl auftreten. Die NEOS halten das für problematisch.
 
"Kneissls bedenkliche Vorliebe für autoritäre Herrscher weitet sich aus. Das ist für eine ehemalige Ministerin völlig unpassend!", wetterte NEOS-Abgeordnete Henrike Brandstötter in offensichtlicher Anspielung auf die Hochzeit von Kneissl im August 2018. Die damalige Außenministerin hatte dazu den russischen Präsidenten Wladimir Putin eingeladen, der auch tatsächlich bei der Feier in der Steiermark erschien. Das Foto vom gemeinsamen Tanz samt ministerlichem Knicks ging um die Welt.
 

Gedenken an Putsch-Versuch

Die Putsch-Gedenkveranstaltung in der Botschaft findet nach offizieller Diktion "im Andenken jener Gefallenen, die ihre Leben zur Verteidigung der Demokratie in der Nacht vom 15. Juli gaben" statt. Gemeint sind damit die Soldaten, die 2016 bei der Abwendung eines Putschversuchs gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan getötet wurden.
 
Neben Kneissl, die als an sich parteifreie Außenministerin auf einem FPÖ-Ticket in der von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geführten türkis-blauen Bundesregierung saß, wurde laut der neuen Ausgabe des "profil" auch Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts an der Akademie der Wissenschaften, als Gastrednerin angekündigt.
 
Ladstätter ist Leiterin der archäologischen Grabungen in Ephesos. Es handelt sich dabei um Österreich größtes Projekt auf diesem Fachgebiet im Ausland. 2016 waren die Wissenschafter von der Regierung in Ankara des Landes verwiesen worden - eine Retourkutsche, nachdem Österreich unter Hinweis auf die Säuberungen nach dem Putschversuch ultimativ gefordert hatte, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein für alle Mal abzubrechen.
 

Kneissl tritt als Gastrednerin auf

Später gelang es Kneissl im Zuge von Normalisierungsbemühungen zwischen Wien und Ankara, die Wiedereröffnung der Grabung zu erwirken. Seither dürfen Ladstätter und ihr Team wieder in Ephesos arbeiten. Das mache es ihr wohl "unmöglich", die Einladung des türkischen Botschafters abzulehnen, schreibt "profil", "auch wenn dadurch der Eindruck entsteht, für politische Zwecke vereinnahmt zu werden."
 
Ladstätter argumentiert, sie sei lediglich gebeten worden, über ihre Erlebnisse während des Putschversuchs und dessen Konsequenzen für sie selbst und die Grabung in Ephesos zu sprechen. Auch Kneissl sieht nach Angaben des Nachrichtenmagazins kein Problem dabei, als Gastrednerin in der Botschaft aufzutreten. Sie will bei der Veranstaltung über ein Thema sprechen, das sie in ihrem gerade erschienenen Buch behandelt: "Diplomatie Macht Geschichte - Die Kunst des Dialogs in unsicheren Zeiten".
 
Bei dem Umsturzversuch im Juli 2016 waren nach Angaben der türkischen Regierung mehr als 250 Menschen getötet worden. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich. Der islamische Prediger Fethullah Gülen lebt seit 1999 im US-Exil. Er bestreitet die Vorwürfe. Seit dem Putschversuch wurden in der Türkei fast 290 Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. Erst Ende Juni waren in einem Prozess im Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch 121 Angeklagte von einem türkischen Gericht zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.
 
Kritiker werfen der Regierung von Präsident Erdogan vor, auch gegen Oppositionelle sowie regierungskritische Medien vorzugehen. Nach dem Putschversuch waren Zehntausende Menschen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung festgenommen worden. Weitere Zehntausende wurden zudem aus dem Staatsdienst entlassen. Das "profil" fasste so zusammen: "Im Zuge einer Verhaftungswelle, die weit über den Kreis der mutmaßlichen Umstürzler hinausging, wurden nicht weniger als 500.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt: Beamte, Polizisten, Juristen und Oppositionelle aller Couleurs."
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