Kuschelkurs adieu

Nervenkrieg in der Koalition

02.07.2009

Die SPÖ will nun einen ÖVP-EU-Kommissar verhindern.

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© TZ ÖSTERREICH / Fally
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Keine Einigung beim Kindergeld, VP-Chef Josef Pröll sagt Njet zum Kassenpaket – offiziell nimmt keiner in SPÖ und ÖVP das böse, böse Wort „Koalitionskrise“ in den Mund. Inoffiziell tobt freilich längst ein veritabler Nervenkrieg in der rot-schwarzen Regierung. Ein Krieg, in dem derzeit noch VP-Vizekanzler Pröll das Tempo vorgibt. Wenn es nach SP-Bundeskanzler Werner Faymann geht, soll sich das freilich sehr schnell wieder ändern.

Nervenkrieg statt Kuschelkurs
Seit der schwarze Vizekanzler den rot-schwarzen Schmusekurs, wie von ÖSTERREICH angekündigt, beendet hat, seit die ÖVP von Kassenpaket über Kindergeld fast täglich geplante rot-schwarze Reformen platzen lässt, konferieren Faymann und seine Vertrauten täglich bis in die Nacht, um rote Gegenschläge zur schwarzen Politik der kleinen Nadelstiche zu entwickeln. Der Geduldsfaden des Kanzlers sei zwar „noch nicht gerissen, aber sehr gespannt“, berichtet ein Vertrauter.

SPÖ will VP den EU-Kommissar kippen
So dürfte es nun eben noch die eine oder andere unangenehme Überraschung für Josef Pröll geben. Sollte die ÖVP in Sachen Kassenpaket und Kindergeld nicht doch rasch einlenken, will auch der Bundeskanzler sein einstiges Versprechen, der ÖVP – sprich: Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer – den EU-Kommissar zu überlassen, „vergessen“. Ein Umstand, der in der ÖVP wohl zu jeder Menge Aufregung führen würde.

Das ist allerdings nicht der einzige geplante Gegenstreich von Faymann. Dass der schwarze Finanz­minister via ORF-Pressestunde plötzlich die von beiden Seiten paktierte Regierungswerbung in Höhe von fünf Millionen Euro unabgesprochen abgesagt hatte, will der Kanzler ebenfalls nicht auf sich sitzen lassen.

ÖSTERREICH: Fährt die ÖVP jetzt wieder einen härteren Kurs – wie vor einem Jahr, als die Koalition zerbrach?
Wilhelm Molterer: Josef Pröll macht nur seinen Job als Finanzminister. Er muss einfach darauf hinweisen, dass es offene Fragen gibt, wie jetzt beim Krankenkassen-Sanie­rungs­paket. Das ist er als Finanzminister auch den Steuerzahlern schuldig. Die Steuergelder müssen so effizient eingesetzt werden wie möglich.

ÖSTERREICH: Aber jetzt tun sich täglich weitere Streitpunkte auf. Gibt es eine Parallele zum Koalitionsbruch 2008, als Sie sagten: „Es reicht!“?
Molterer: Nein, das Jetzt ist das Jetzt, und das Jahr 2008 ist Vergangenheit. Die Situation von damals ist sicher nicht auf heute umzulegen. Es ist einfach klug, dass der Finanzminister jetzt seine Gesamtverantwortung wahrnimmt. Er macht das ganz richtig. (gü)

Der zweckentfremdeten Widmung für Hochwasserhilfe werde nun eben die SPÖ nicht zustimmen, heißt es nun aus roten Kreisen. Immerhin war diese „unabgesprochene Ansage via Medien ein Vertrauensbruch“, meint ein SP-Stratege, und das habe der Kanzler Pröll auch schon so mitgeteilt.

Pröll, der betont, dass er keinerlei Provokationen gegen die SPÖ bewusst geplant habe, versicherte Faymann, dass ihm das „spontan“ eingefallen sei.

Der Kampf um die Kanzlerschaft
Ähnliche „spontane“ Einfälle wollen sich die Roten nun eben auch noch weiter einfallen lassen. Das Misstrauen zwischen den einstigen Politfreunden nimmt jedenfalls zunehmend zu.

ÖSTERREICH: Streitet die Koalition zu viel?
Franz Vranitzky: Dass es in wichtigen Sachfragen wie etwa dem Krankenkassenpaket Auffassungsunterschiede gibt und man noch zwei, dreimal verhandeln muss, würde ich nicht als den Startschuss für alte Streitigkeiten bezeichnen. Es geht aktuell um Auseinandersetzungen inhaltlicher Natur – die gibt’s eben in einer Koalition.

ÖSTERREICH: Beim Kindergeld hapert’s auch. So gut versteht sich die Regierungsspitze nicht mehr …?
Vranitzky: Vor einem halben Jahr hieß es, der Kuschelkurs sei fad. Ich glaube, dass die Auseinandersetzungen kantiger werden, man länger verhandeln muss, um zu Ergebnissen zu kommen. Aber die Koalition steht nicht am Spiel. Die SPÖ wird sicherlich nach der EU-Wahl versuchen, ihre Konturen zu schärfen. Auch die ÖVP ist gefordert. Sie soll nicht glauben, dass alles nach ihrem Schädel geht. (wol)

Kanzler Faymann gibt sich im ÖSTERREICH-Gespräch dazu – noch – betont nonchalant: „Natürlich ist es für einen Regierungschef nicht immer leicht, mit allen Regierungsmitgliedern gleich gut auszukommen. Immerhin will ja die Hälfte der Minister bei der nächsten Wahl selbst Erster werden.“

Aber, so der Kanzler mit einem Lächeln: „Das wird sich dann in vier Jahren zeigen, wer wirklich Nummer eins sein wird.“ Der Kampf um die Vormacht hat jedenfalls schon längst begonnen.

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