oe24-Sommergespräch
Stocker über Österreich-Aufschlag: "Bin nicht mehr bereit, das zu akzeptieren"
26.08.2025ÖVP-Chef Christian Stocker rechnet jetzt mit dem Preishammer im Supermarkt ab und verrät seine neue "2-1-0-Formel" - das ganze Sommerinterview mit dem Bundeskanzler heute ab 21.00 Uhr auf oe24.TV
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Wien. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) war am Dienstagabend beim oe24.TV-Sommergespräch mit Politik-Chefin Isabelle Daniel und oe24-Chef Niki Fellner. Wie er die Lebensmittelpreise senken will, wie die Wirtschaft wieder anspringen soll und warum er weiterhin nach Syrien abschieben will.
oe24.TV: Herr Bundeskanzler, wie fällt Ihre erste Regierungsbilanz aus?
Christian Stocker: Wir haben in diesem halben Jahr zueinander gefunden. Wir haben aus dem Regierungsprogramm schon einiges auf den Weg gebracht. Es gilt jetzt in eine Phase der Reformen zu kommen. Mit der Inflationsrate von 3,6 % kann man nicht zufrieden sein, mit der Stagnation der Wirtschaft kann man nicht zufrieden sein und man kann auch nicht zufrieden sein, wenn in Österreich plötzlich eine Diskussion entsteht, ob die Scharia eine taugliche Rechtsgrundlage ist. Und daher habe ich eine Formel entwickelt: 2–1–0. Ich will, dass wir nächstes Jahr 2% Inflation erreichen. Ich will, dass wir nächstes Jahr mindestens 1 % Wirtschaftswachstum haben und ich will, dass Null Toleranz gegen alle gilt, die unsere Gesellschaft in Frage stellen.
oe24.TV: Sie haben auch Reformen angesprochen. Wo sind die denn?
Stocker: Die Pensionsreform als Beispiel ist für mich eine Reform, die sich sehen lassen kann. Und ich glaube, dass man auch Zeit geben muss, dass eine Reform einmal wirkt.
oe24.TV: Ihre Außenministerin und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger meinte ja vor zwei Wochen im Sommergespräch, dass man an einem höheren Pensionsantrittsalter nicht herumkommen werde. Sehen Sie das auch so?
Stocker: Ich sehe es so, dass wir eine Vereinbarung haben für diese Legislaturperiode, wo wir im Pensionssystem Ziele gesetzt haben, wo wir das faktische an das gesetzliche Pensionsalter heranführen wollen. Wenn das nicht ist, ist eine Möglichkeit die angesprochene.
oe24.TV: Werden die Pensionen heuer planmäßig um 2,7 Prozent erhöht?
Stocker: Die Verhandlungen über die Anhebungen der Pensionen, die beginnen jetzt gerade. Ich will diesen Verhandlungen nicht vorgreifen.
oe24.TV: Die Beamtengehälter werden ja direkt vom Bund verhandelt. Die letzte, türkis-grüne Regierung hat verhandelt, dass diese heuer über der Inflation steigen. Ist das wirklich ein gutes Zeichen?
Stocker: Es gibt dazu eine Beschlusslage, die in Gesetzesform gegossen ist. Und von so einer Beschlusslage in Gesetzesform geht man nur dann ab, wenn man eine gemeinsame Lösung findet.
oe24.TV: Wird das Budget eigentlich in der Form halten?
Stocker: Soweit ich den Budgetvollzug des Bundes kenne, sind wir auf Schiene und im Plan.
oe24.TV: Kommen wir zur Inflation. Warum ist die genau in Österreich so ausgeartet?
Stocker: Es gäbe jetzt ganz viele Erklärungen, warum das so ist. Aber es geht mir nicht darum zu erklären, warum was so ist, wie es ist, sondern der Blick geht in die Zukunft. Ich will, dass wir nächstes Jahr zwei Prozent Inflationsrate erreichen.
oe24.TV: Und wie?
Stocker: Wir haben uns die Treiber der Inflation angesehen. Das ist auch Energie, weil die sich in ganz vielen Bereichen spürbar macht. Das ist aber auch der Österreich-Aufschlag und ich bin nicht mehr bereit, diesen Aufschlag zu akzeptieren. Der ist wettbewerbswidrig, das ist in einem Binnenmarkt nicht hinzunehmen.
oe24.TV: Was soll konkret gegen die Teuerung passieren?
Stocker: Bei den Lebensmittelpreisen ist das der Weg, den ich sehe. Das Zweite: Die Energiegesetze sind ein erster Schritt, damit Energie leistbar bleibt und die Energiepreise sinken.
oe24.TV: Die SPÖ hat ja ein bisschen einen anderen Zugang. Der Finanzminister will etwa bei den Lebensmittelpreisen eingreifen. Wie sehen Sie das?
Stocker: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir diese Maßnahmen einfach ganz offen diskutieren. Was verspricht die beste Wirkung? Wovon werden wir die meiste Effizienz haben? Welche Nebeneffekte gibt es? Und so werden wir die Verhandlungen führen.
oe24.TV: Sie schließen Preiseingriffe also nicht aus?
Stocker: Wir werden nichts einschließen und nichts ausschließen.
oe24.TV: Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal im Supermarkt?
Stocker: Vor einer Woche, eineinhalb Wochen.
oe24.TV: Haben Sie die Preise geschockt?
Stocker: Ich weiß schon, dass der Liter Milch plus/minus 1,50 kostet. Mich schockt auch, wenn man Brot kauft und sich wundert, dass das von drei Euro aufwärts bis zu 7, 8 Euro kosten kann. Natürlich verstehe ich das.
oe24.TV: Österreich ist ja auch EU-Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum. Was soll sich da ändern?
Stocker: Wir müssen Anreize für Investitionen schaffen. Da gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Beispielsweise bessere Abschreibemodelle, investitionsfreie Beträge in Zahlen oder Prozenten.
oe24.TV: Wann kommt das?
Stocker: Wir werden in der Regierungsklausur nächste Woche das alles besprechen.
oe24.TV: Es soll ja auch ein Konjunkturpaket auf den Weg gebracht werden.
Stocker: Es wird sicher für die Konjunktur etwas getan werden. Wir brauchen für Österreich einen Aufschwung.
oe24.TV: Aus der Wirtschaft hört man oft, es würde viel bringen, wenn man die Lohnnebenkostensenkung vorzieht. Ist das vorstellbar?
Stocker: Ein Prozent weniger Lohnnebenkosten bedeutet so zwischen 1,5 und zwei Milliarden Euro für das Budget. Das wäre völlig unseriös.
oe24.TV: Ein namhafter CEO meinte, es ist nicht fünf vor Zwölf, sondern es ist Viertel Eins.
Stocker: Für mich ist klar, dass wir handeln müssen. Aber es ist auch eine Realität, wonach es leider nicht so ist, dass wir heute einen Entschluss fassen, morgen den Beschluss fassen und übermorgen die Wirkung steht. Es braucht ein Minimum an Zeit.
oe24.TV: Kommen wir noch zum Thema Asyl. Im Juli sind die Asylzahlen um 12 Prozent gesunken. Wo wollen Sie mit den Zahlen denn hinkommen? Auf Null?
Stocker: Natürlich ist das Ziel, dass illegale Grenzübertritte Null sind. Man muss aber sagen, Null werden wir schwer erreichen. Auch die FPÖ wird es nicht erreichen. Herbert Kickl hat keine Null gehabt als Innenminister.
oe24.TV: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Abschiebungen nach Syrien als unzulässig bezeichnet. Was wird Österreich jetzt machen?
Stocker: Da habe ich eine klare Haltung. Ich bin dafür, dass wir weiter nach Syrien abschieben.
oe24.TV: Sie haben auch schon einmal angeregt, dass man über eine Änderung der Auslegung der Menschenrechtskonvention nachdenken sollte, was für Aufregung sorgte. Bleiben Sie dabei?
Stocker: Natürlich. Ich bin ja nicht alleine mit dieser Ansicht. Es gibt eine Gruppe like-minded states in der EU.
oe24.TV: Vor genau zehn Jahren hat Angela Merkel ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ gesagt. War der Satz ein Fehler?
Stocker: Er ist zumindest widerlegt worden. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir es geschafft haben. Wir haben eine Ambition gehabt damals, die vielleicht sehr gut gemeint war. Aber wir haben gesehen, dass wir in dieser Flüchtlingswelle fast untergegangen wären.
oe24.TV: Sie meinen also, wir haben es nicht geschafft.
Stocker: Die Anzahl der illegalen Übertritte hat gezeigt, dass wir unsere Grenzen nicht kontrollieren konnten. Damals ist es nicht gelungen. Jetzt haben wir viel getan, dass es besser ist.
oe24.TV: Kommen wir noch zur Außenpolitik. Letzte Woche gab es ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump, Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj und EU-Vertretern. Sind die Chancen auf Frieden gestiegen?
Stocker: Ich hoffe es. Ich kann es nur hoffen, weil alles, was man sieht, ist eigentlich eher für Pessimismus geeignet. Ich habe nicht den Eindruck, dass Putin derzeit bereit ist, ernsthaft zu verhandeln. Aber nichtsdestotrotz: Im Gespräch zu bleiben, Gesprächsformate zu haben, ist besser wie nichts.
oe24.TV: Trump hat ja auch einen Zolldeal mit der EU abgeschlossen. Viele kritisieren, dass das zu Lasten der EU sei. Wie sehen Sie das?
Stocker: Ich vergleiche es mit der Schweiz. Wir haben im Rahmen der EU zumindest die Verhandlungsmacht der gesamten Union. Das hat zum Ergebnis, dass wir jetzt bei 15 Prozent stehen. Die Schweiz hat 39 Prozent und das zeigt mir, dass alleine verhandeln vielleicht schlechter ist als gemeinsam.
oe24.TV: Die ÖVP liegt in Umfragen ja eher schlecht. Wie wollen Sie das drehen?
Stocker: Alles, was ich jetzt erzählt habe in diesem Interview, soll dazu dienen, das zu drehen. Schaffen wir 2-1-0 oder schaffen wir es nicht? Und wenn wir es schaffen, dann dreht sich auch die Stimmung.
oe24.TV: Die nächste Wahl wäre 2029. Kandidieren Sie da als ÖVP-Spitzenkandidat?
Stocker: Ich halte mich an mein Regierungsprogramm: Arbeiten im Alter. Ich will in der nächsten Wahl die Volkspartei zur Nummer 1 machen in diesem Land.