Minister im Interview

Schelling: "Dann muss ich auf den Tisch hauen"

03.09.2016

Dieses Wochenende ist er zwei Jahre im Amt. Seine Bilanz - seine Kritik.

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© TZOE/Fuertbauer
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Im großen Interview mit ÖSTERREICH spricht Finanzminister Schelling über Steuerreform und Nulldefizit und kritisiert Kerns „Wertschöpfungsabgabe“ und das „verschlafene“ Sozialministerium. Neuwahl sieht er keine.

ÖSTERREICH: Sie sind genau zwei Jahre Minister. Erleben Sie als früherer Top-Manager die Politik als Freude – oder als Ärgernis?

SCHELLING: Am Anfang ist das schon ein Schock. Als erfolgreicher Manager bist du angesehen – und wenn du Erfolg hast, sagen die Menschen: klasse, gut gemacht, tolle Leistung. In der Politik bekommst du für dieselbe Leistung zunächst mal eine Überdosis Kritik – man ist ständig unter Beschuss. Während man sich als Manager über Erfolge freut, wird in der Politik ständig ein Grund gesucht, warum man sich nicht freuen kann. Alle – Opposition, Medien, selbst manche in der eigenen Partei – müssen immer etwas finden, worüber man sich nicht freuen kann. Nehmen Sie die Steuerreform – eine Super-Sache, aber jeder sah was Negatives.

ÖSTERREICH: Und Sie haben das in den zwei Jahren gelernt?

SCHELLING: Ich glaube, das werde ich nie lernen, mich daran zu gewöhnen. Und trotzdem habe ich große Freude an dem Job, weil man in der Politik was weiterbringen kann. Nicht alles, was man als Finanzminister tut, ist sexy – aber alles bringt dieses Land weiter – auch wenn es nur die einheitliche Buchhaltung für Bund, Länder und Gemeinden ist. Oder das Hypo-Problem, das ich gerade dabei bin, zu lösen. Oder die Steuerreform, die plötzlich unser Wirtschaftswachstum wieder ankurbelt.

ÖSTERREICH: Eigentlich sind Sie angetreten, um uns das Nulldefizit zu bringen …

SCHELLING: Und das will ich bis 2018 auch wie versprochen erreichen. Wir haben 2015 schon das strukturelle Nulldefizit um zwei Jahre früher erreicht – also weniger als 0,5 % Verschuldung – das ist ja schon eine kleine Sensation. Heuer haben wir eine schwierige Situation, weil uns die Flüchtlingswelle und alles, was dazugehört, das Budget ganz schön belastet.

ÖSTERREICH: Wie viel kosten uns die Flüchtlinge wirklich?

SCHELLING: Es sind in diesem Jahr 2016 durch die Flüchtlingswelle 800 Millionen an Mehrkosten, dazu noch rund 150 Millionen mehr für Integrationsmaßnahmen – also wirklich knapp eine Milliarde. Dazu kommen jetzt jede Menge Sonderbelastungen für die Sicherheit, die die Bevölkerung zu Recht fordert, fast eine Milliarde auf vier Jahre fürs Heer mehr, 650 Millionen mehr für Polizei. Selbst wenn das alles auf vier Jahre gerechnet wird, belastet das unser Budget enorm.

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ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner bei Minister Schelling. Quelle: TZOe/Fuertbauer

ÖSTERREICH: Wie sehr belastet die Steuerreform unser Budget?

SCHELLING: Auch wenn Sie’s nicht glauben: gar nicht. Es sieht so aus, als würde die Gegenfinanzierung voll funktionieren. Im Gegenteil: Die Steuerreform hat eindeutig unser Wirtschaftswachstum wieder angekurbelt. Alle Wirtschaftsforscher sagen, von den 1,6 % Wirtschaftswachstum, die wir endlich wieder haben, sind 0,5 % auf die Steuerreform zurückzuführen – ein Erfolg dieser Regierung.

ÖSTERREICH: Sie wollen die nächste Steuerreform rasch machen?

SCHELLING: Ich will sehr rasch – am besten noch in diesem Jahr – die kalte Progression abschaffen. Was heißt das? Sobald die Inflation einen bestimmten Punkt erreicht, werden automatisch die Steuertarife angehoben, damit niemand eine Steuererhöhung durch ein entsprechend der Inflation steigendes Gehalt hat. Das würde permanent die Kaufkraft und unser Wachstum ankurbeln.

ÖSTERREICH: Und diese Steuerreform kommt wann?

SCHELLING: Wenn es nach mir geht, gilt sie ab 1. Jänner 2018.

ÖSTERREICH: Wann bekommen wir endlich wieder mehr Wirtschaftswachstum?

SCHELLING: Unser Wachstum ist dank der Steuerreform mit 1,6 % wieder im EU-Schnitt, wünschenswert wären 2 % – dafür brauchen wir mehr Signale an die Wirtschaft, dass wir Gas geben – und mehr Investitionen, aber auch weniger Verunsicherung. Das, was der Herr Bundeskanzler gerade macht, nämlich laut über neue Steuern wie Wertschöpfungsabgabe zu fantasieren, hilft gar nicht – das verunsichert nur. Wirtschaft ist Psychologie – da darf es keine Verunsicherung durch völlig unausgegorene Ideen geben.

ÖSTERREICH: Die Wertschöpfungsabgabe …

SCHELLING: … wäre völlig kontraproduktiv, weil sie nur verunsichert, unseren Standort im Europa-Vergleich enorm verschlechtert, Investitionen stoppt – Gott bewahre uns davor …

ÖSTERREICH: Haben Sie das dem Bundeskanzler schon gesagt?

SCHELLING: Ich habe ihm das in aller Deutlichkeit gesagt, weil ich immer mit offenem Visier kämpfe.

ÖSTERREICH: Deutet nicht viel derzeit auf Neuwahlen hin?

SCHELLING: Es wird keine Neuwahlen geben, weil das Duo Mitterlehner-Kern genau weiß: Wir als Regierung müssen jetzt liefern! Wir müssen jetzt Reformen schaffen – und alles läuft in diese Richtung des „Wir liefern jetzt!“

ÖSTERREICH: Sie fordern eine Pensionsreform.

SCHELLING: Die Pensionsreform ist ein ständiger Prozess, weil das Budget sonst irgendwann gegen die Wand fährt. Der Schweizer Finanzminister hat mir gerade gesagt, in der Schweiz wird jetzt das Pensionsalter der Frauen an das der Männer mit 65 Jahren angeglichen und demnächst auf 67 Jahre erhöht.

ÖSTERREICH: Und bei uns fehlt dieser Mut?

SCHELLING: Wir haben am 29. Februar ein Pensions-Mäuslein geboren – das war kein großer Wurf, ich wäre viel weiter gegangen, aber immerhin – doch der Sozialminister ist dringend gefordert, die dort beschlossenen Reförmchen rasch umzusetzen. Manchmal hat man den Eindruck, im Sozialministerium wird geschlafen. Auch bei der Arbeitslosigkeit. Es geht zu wenig weiter. Es bewegt sich zu wenig.

ÖSTERREICH: Und wenn – in bewährter Weise – bei der Pensionsreform nichts weitergeht?

SCHELLING: Dann garantiere ich Ihnen: Dann müsste einmal ich auf den Tisch hauen, obwohl das ja nicht meine Art ist.

ÖSTERREICH: Wird Sebastian Kurz Ihren Parteichef Mitterlehner noch heuer ablösen?

SCHELLING: Das schließe ich aus. Mitterlehner will diese Koalition fortführen, Kurz selbst will nach eigenem Bekunden gar nicht. Ich gehe davon aus, Mitterlehner bleibt Obmann und auch Spitzenkandidat für die nächste Wahl. Er muss aber mehr an die Öffentlichkeit gehen, um sich solche Diskussionen zu ersparen – und er tut das in den letzten Tagen auch, etwa bei TTIP.

ÖSTERREICH: Würden Sie als neuer ÖVP-Obmann oder Spitzenkandidat zur Verfügung stehen?

SCHELLING: Sicher nicht. Ich bin kein Parteiobmann. Und das wäre mit dem Amt des Finanzministers auch gar nicht zu schaffen – da sind schon zwei vor mir an der Arbeitsbelastung gescheitert. Ich bin dort, wo ich jetzt sitze, am besten aufgehoben. Ich bin mit ganzem Herzen Finanzminister und kann in diesem Job für das Land auch am meisten bewegen.

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