Rückzug 2019

Vassilakou: Darum kandidiere ich nicht mehr

02.09.2018

Nach dem Rechnungsabschluss 2019 soll Schluss sein.

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Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou wird bei der Wien-Wahl 2020 nicht mehr als Spitzenkandidatin antreten. Das gab sie bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Sonntag bekannt. Als Vizebürgermeisterin und Stadträtin will sie längstens bis zum Rechnungsabschluss 2019 zu Verfügung stehen. Bis dahin will sie  ihr Amt an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergeben.

"Jetzt sind die Nächsten am Zug"

Vassilakou begründete ihren schrittweisen Rückzug mit jenem Versprechen, das sie, wie sie berichtete, im vergangen Jahr bei einer Landesversammlung abgegeben habe. Damals habe sie angekündigt, dass sie die Erneuerung und Öffnung der Wiener Grünen anstrebe: "Das löse ich nun ein. Und ich beginne bei mir selbst."
 
Der genaue Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus der Politik ist aber noch offen. Dass sie nicht mehr als Spitzenkandidatin ins Rennen geht, war allgemein erwartet worden. Heute kündigte sie aber auch an, im kommenden Jahr ihr Stadtrats-Amt zurückzulegen. Denn genauen Zeitpunkt wolle sie sich mit dem neuen Spitzenkandidaten bzw. der Kandidatin ausmachen, hieß es. Sie werde ein "tiptop geführtes" Ressort übergeben, beteuerte sie.
 
Allerspätestens soll der Rückzug allerdings bis zur Rechnungsabschluss-Sitzung im kommenden Jahr erfolgen - also bis zu der im Juni 2019 anstehenden Debatte des Rechnungsabschlusses für 2018. Auch ein früherer Abschied ist möglich. Dass es heuer noch geschieht, ist aber unwahrscheinlich. Der erste Listenplatz wird nämlich erst im November fixiert.
 
"Jetzt sind die Nächsten am Zug und sie können sich meiner Unterstützung gewiss sein", betonte die Ressortchefin. Für die kommenden Wochen wünsche sie sich einen fairen Wettbewerb der Ideen und Visionen: "Ich will von den Kandidaten hören, wie sie die beste Stadt der Welt weiterentwickeln wollen." Wer letztendlich ins Rennen geht, wird erst entschieden. Noch läuft bei den Grünen die Bewerbungsfrist. Öffentlich haben bisher nur Klubchef David Ellensohn und Gemeinderat Peter Kraus ihr Antreten verkündet.
 

Vizebürgermeisterin zieht positive Bilanz

Vassilakou zog auch Bilanz. Sie sei in Athen in den schwierigen dunklen Zeiten der Militärjunta als Tochter eines ehemaligen Flüchtlingskinds geboren. Das Land sei nach dem Bürgerkrieg gespalten und arm gewesen. Sie wisse dadurch, wie wichtig es sei, ohne Armut und Angst in Freiheit leben zu können. Auch dass die Olivenhaine und Weinfelder beim Haus ihrer Eltern einst ohne Grünraumplanung zubetoniert worden seien, habe sie geprägt. Dies habe sie zu einer leidenschaftlichen Planungsstadträtin gemacht.
 
"Solidarität, Freiheit und Demokratie waren immer mein Kompass", sagte die Grün-Politikerin, die am 4. September 1986 zum Studium nach Wien gekommen ist. "Ich bin glücklich und dankbar für das Privileg, acht Jahre an der Spitze der lebenswertesten Stadt der Welt gearbeitet zu haben." In Wien müsse niemand Angst vor Armut haben, zeigte sie sich überzeugt. Und sie liebe es, gemeinsam mit den Wienerinnen und Wienern Projekte umzusetzen, aber auch "Probleme anzufassen".
 

Projekte sollen noch umgesetzt werden

Als wichtige, bereits umgesetzte Vorhaben nannte sie unter anderem die Mariahilfer Straße, die 365-Euro-Jahreskarte oder die Umgestaltung des Stephansplatzes. Andere wesentliche Projekte wolle sie noch abschließen bzw. auf Schiene bringen - wobei sie etwa die Neugestaltung der Rotenturmstraße oder die Entscheidung über einen neuen Busbahnhof erwähnte.
 
Und sie schwor: "Der Vorschlag einer Citymaut war mein Ernst." Die begonnen Gespräche dazu sollen nun fortgesetzt werden, kündigte sie an. Sie hoffe, alle Fraktionen für einen gemeinsamen Weg zu gewinnen.
 

Auch persönliche Gründe

Der Rückzug habe aber auch persönliche Grüne, berichtete die Vizebürgermeisterin. Sie sei zwar ein "genuines Zoon Politikon", das Leben in der erste Reihe sei aber sehr intensiv. Sie werde demnächst 50 und habe immerhin die Hälfte ihres Lebens in der Politik verbracht. Wobei sie beteuerte: "Es waren 25 wunderbare, erfüllte Jahre."
 
Sie sei nun gespannt, wer die anstehende Wahl bei den Grünen für sich entscheiden werde. Bis zur Übergabe werde man die "hyperaktive Frau Vassilakou" allerdings noch "voller Lust und Tatendrang bei der Arbeit für die beste Stadt der Welt" antreffen, versprach sie am Ende ihrer Erklärung.

Grüne Nummer eins will nicht mehr

Maria Vassilakou (49) will nicht mehr kämpfen: Die Frontfrau der Wiener Grünen steigt nicht ins Spitzenkandidaten-Rennen ein. Damit räumt die wohl polarisierendste Ressortchefin der Stadt in absehbarer Zeit den Chefsessel. Vor allem ihre Verkehrspolitik sorgte gleichermaßen für Applaus und Ablehnung in der Bevölkerung. Zuletzt hatte Vassilakou aber auch parteiintern nicht nur Fans.
 
Die 49-jährige Kommunalpolitikerin bekleidet seit November 2010 - dem Beginn von Rot-Grün in Wien - das Amt der Vizebürgermeisterin sowie der Stadträtin für Verkehr, Stadtentwicklung, Klimaschutz und Bürgerbeteiligung. Untätigkeit kann man Vassilakou in ihrem Bereich nicht unbedingt vorwerfen. Mit der von ihr vorangetriebenen Ausweitung des Parkpickerls, dem Bau umstrittener Radwege etwa am Getreidemarkt oder der Schaffung von Anrainerparkplätzen setzte sie merkbare Akzente mit dem Ziel, die Pkw-Belastung in der Hauptstadt einzudämmen. Vor allem bei ÖVP und FPÖ wurde sie zusehends als notorische Auto-Hasserin gebrandmarkt.
 

Prestigeprojekt Mariahilfer Straße

Eine Art Denkmal setzte sich die streitbare Grüne freilich mit der Neugestaltung der Mariahilfer Straße zu einer Fußgänger- und Begegnungszone: Autos wurden großteils verbannt, die Einkaufsstraße durchgehend gepflastert und so zur hochfrequentierten Flaniermeile samt Schanigärten umgemodelt. Spätestens hier zeigten sich zentrale Eigenschaften der Ressortleiterin: Mut, Dickhäutigkeit und eine gehörige Portion Sturheit. Denn Vassilakou zog das "Mahü"-Projekt trotz heftigstem Widerstand von Opposition, Wirtschaftstreibenden und Teilen der Bevölkerung inklusive harscher persönlicher Anfeindungen durch.
 
Diese Beharrlichkeit wurde der De-facto-Chefin der Wiener Grünen - diesen Posten gibt es offiziell in der Rathauspartei nicht - in einem anderen Zusammenhang allerdings beinahe zum Verhängnis: Das Heumarktvorhaben inklusive geplantem Hochhausturm, der die Innenstadt inzwischen auf die Rote Liste des UNESCO-Weltkulturerbes brachte und noch dazu von einem privaten Investor bezahlt wird, sorgte nämlich für einen gehörigen parteiinternen Aufstand samt Urabstimmung, die gegen die Neugestaltung ausging.
 

Parteiinterner Druck nach Heumarkt-Deal

Vassilakous Weigerung, den Heumarkt-Deal abzublasen, führte zu einer von Kritikern angezettelten Rücktrittsdebatte, die "die Mary" mit der Vertrauensfrage auf der Landesversammlung im Herbst 2017 gerade noch einfangen konnte. Den Unmut von Teilen der eigenen Basis hatte sich die grüne Nummer eins aber schon vorher mit ihrer Ankündigung vor der Wien-Wahl 2015 eingehandelt, im Fall von Verlusten für die Grünen zurückzutreten. Die Verluste kamen, Vassilakou blieb.
 
Gekommen, um zu bleiben: Das trifft auch auf die Migrationsgeschichte der gebürtigen Griechin zu. Geboren am 23. Februar 1969 in Athen als einziges Kind einer Goldschmiedin und eines Bauunternehmers kam sie 1986 nach der Matura für ein Sprachstudium nach Wien. Die Stadt ließ sie nicht mehr los. Bald startete sie ihre politische Karriere.
 
1995 erfolgte der Wechsel in den Grünen Klub im Wiener Rathaus. 1996 zog sie in den Landtag ein, 2001 trat sie auf dem prominenten zweiten Listenplatz an und wurde nach dem Wahlerfolg nicht amtsführende Stadträtin. 2005 ging sie bereits als Spitzenkandidatin ins Rennen, zuvor war sie Christoph Chorherr als Klubvorsitzende gefolgt. 2010 brachte mit Rot-Grün gleich zwei neue Titel für die grüne Frontfrau: Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung sowie Vizebürgermeisterin. Als solche scheute sie auch den Zwist mit der SPÖ nicht, was sie durchaus selbstironisch in Szene setzte: Im Vorfeld der Wien-Wahl 2015 ließ sie sich als Hexe plakatieren, die den "Michi Häupl nicht immer so ärgern" solle. Bis 2016 war sie zudem stellvertretende Bundessprecherin der Grünen.
 

Citymaut soll kommen

Zuletzt mehrten sich die Gerüchte, die Langzeit-Chefin der Wiener Partei werde sich wohl nicht mehr für eine Spitzenkandidatur antreten. Spätestens seit ihr früherer Büroleiter und enger Vertrauter, der Gemeinderat Peter Kraus, seine Bewerbung öffentlich gemacht hat, war so gut wie klar, dass Vassilakou ihren Entschluss bereits gefasst hatte. Wobei ihr jüngst wieder großer Spaß am Job nachgesagt wurde: Mit der jüngsten Forderung nach einer Citymaut ab der Stadtgrenze für alle Pendler sorgte sie einmal mehr für ordentlich kommunalpolitischen Gesprächsstoff - und die auch schon fast traditionelle Ablehnungsfront.
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