Rhisotope – Mit Strahlung gegen die Wilderei

11.08.2025

Ein Nashorn liegt ruhig im Staub der südafrikanischen Waterberg-Biosphäre. Sediert, umgeben von Tierärzten, Physikern und Wildhütern. Es ist ein gewaltiges Tier, fast zwei Tonnen schwer – und dennoch vollkommen hilflos. 

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Die Menschen um es herum führen ein ungewöhnliches Verfahren durch: Mit chirurgischer Präzision bohren sie ein kleines Loch in das Horn des Tieres. Mit einer Pinzette platzieren sie darin eine winzige Menge radioaktiven Materials. Dann wird das Loch wieder versiegelt. Die Strahlendosis ist gering – so gering, dass sie dem Tier nicht schadet. Aber sie reicht aus, um das Horn für Schmuggler unbrauchbar zu machen.

Was hier geschieht, ist Teil eines hochmodernen Artenschutzprojekts, das weltweit für Aufsehen sorgt: das Rhisotope Project. Es wurde 2021 von der University of the Witwatersrand ins Leben gerufen und wird heute von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) technisch und finanziell unterstützt.

Das Ziel: Nashörner vor dem Aussterben zu bewahren – mit Hilfe von Nukleartechnologie.

Südafrika ist Heimat von rund 80 Prozent aller noch lebenden Nashörner. Doch das Land ist auch das Epizentrum der Wilderei. Über 10.000 Tiere wurden in den vergangenen zehn Jahren getötet – meist wegen ihrer Hörner. Diese erzielen auf dem Schwarzmarkt Preise von bis zu 60.000 Euro pro Kilo. In Teilen Asiens gelten sie fälschlich als Heilmittel, als Potenzverstärker oder schlicht als Statussymbol.
Im ersten Quartal 2025 wurden in Südafrika bereits über 100 Nashörner gewildert, so das Ministerium für Forstwirtschaft, Fischerei und Umwelt. Schutzmaßnahmen wie bewaffnete Ranger, Überwachungstechnik und eingezäunte Schutzgebiete reichen längst nicht mehr aus.

James Larkin, Direktor der Strahlen- und Gesundheitsphysik an der Universität Witwatersrand, erklärt den radikalen Ansatz:
„Wir bringen kleine Mengen radioaktiven Materials in das Horn. Dadurch verliert es seinen Wert – niemand will ein radioaktives Horn. Und das Beste: Es lässt sich an jeder Grenze, jedem Flughafen, jedem Hafen eindeutig nachweisen.“

Die Idee ist so einfach wie effektiv: Anstatt die Nachfrage zu bekämpfen oder neue Zäune zu errichten, wird das Produkt selbst unbrauchbar gemacht – indem es zur Gefahr für den Schmuggler wird. Denn radioaktive Materialien lösen weltweit Alarm in Strahlendetektoren aus – sogenannten Radiation Portal Monitors (RPMs), die in über 10.000 Grenz- und Kontrollstationen installiert sind. Diese Geräte sind Teil der globalen Infrastruktur zur Erkennung von illegalem Nuklearmaterial – und können nun auch zur Bekämpfung des Wildtierhandels eingesetzt werden.

Die IAEA ist eine der wichtigsten Partnerorganisationen. Ihr Generaldirektor Rafael Mariano Grossi sieht das Projekt als Musterbeispiel für zivilen Nutzen nuklearer Sicherheitstechnologie:

„Strahlendetektoren wurden nicht dafür gebaut, Nashörner zu retten. Sie sind Teil der Infrastruktur zum Schutz vor nuklearem Schmuggel. Aber mit Rhisotope helfen sie jetzt auch, bedrohte Arten zu schützen.“

„Das Verfahren ist sicher für die Tiere, aber macht die Hörner für Händler unbrauchbar – weil sie in jedem Sicherheitssystem aufleuchten. Das ist nukleare Wissenschaft im Dienste des Artenschutzes.“

Auch der praktische Ablauf ist gut durchdacht. Die Nashörner werden sediert und medizinisch überwacht. Das Horn wird angebohrt, das Material eingeführt und wieder verschlossen. Die eingesetzten Isotope sind medizinisch erprobt und entsprechen etwa der Strahlendosis einer CT-Untersuchung. Eine unabhängige Studie der Universität Gent in Belgien untersuchte 15 behandelte Tiere und fünf unbehandelte Vergleichstiere – mit dem Ergebnis: keine gesundheitlichen Auswirkungen, keine zellulären Schäden.

Jessica Babich, Projektleiterin bei Rhisotope, betont:

„Wir haben gezeigt, dass die Technologie einsatzbereit ist. Die Tiere sind gesund, die Methode funktioniert. Jetzt können wir den nächsten Schritt gehen: die Ausweitung auf mehr Tiere – und mehr Regionen.“

Einer, der die Auswirkungen der Wilderei täglich erlebt, ist Arrie van Deventer, Gründer des Rhino Orphanage, einer Auffangstation für verwaiste Nashörner:

„Alle Tiere hier haben ihre Mütter verloren. Erschossen – für das Horn. Mit Rhisotope können wir das stoppen. Wenn ein Horn radioaktiv ist, kann man es nicht mehr transportieren – kein Flughafen, kein Hafen lässt das durch. Sirenen gehen los. Es ist fantastisch. Ich sage Ihnen: Das hier könnte der Heilige Gral zur Rettung der Art sein.“

Trotz aller Euphorie gibt es auch kritische Stimmen. Manche sehen Risiken: Was, wenn radioaktive Substanzen in falsche Hände geraten? Andere bezweifeln, ob es gelingt, genügend Tiere zu behandeln, um den Markt nachhaltig zu beeinflussen. Und natürlich bleibt die Frage: Was passiert mit den Wilderern selbst – oft Menschen in extremer Armut, die aus Verzweiflung handeln?

Die Projektverantwortlichen betonen deshalb, dass Rhisotope keine alleinige Lösung ist, sondern ein zusätzliches Werkzeug im Kampf gegen ein milliardenschweres kriminelles Netzwerk. Es ersetzt keine Schutzgebiete, keine Ranger, keine Bildungsarbeit – aber es kann helfen, das System ins Wanken zu bringen.

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Die Forscher denken bereits weiter. Könnte dieselbe Methode auch bei Elefantenstoßzähnen, Pangolin-Schuppen oder geschmuggelten Tierprodukten zum Einsatz kommen? James Larkin meint:

„Die Methode ist skalierbar. Alles, was sich radioaktiv markieren lässt, ist potenziell schützbar. Wir stehen erst am Anfang.“

Die internationale Aufmerksamkeit ist jedenfalls groß. Und vielleicht ist es genau das, was es braucht: eine Geschichte, die spektakulär genug ist, um neue Wege im Artenschutz zu eröffnen – in einer Zeit, in der jeden Tag Tierarten für immer verschwinden.

Rhisotope ist eine Vision, die Natur- und Nuklearwissenschaft miteinander verbindet. Sie macht sichtbar, was bisher im Dunkeln geschah.

  

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