Experten warnen

Bosnien kann zu Jihadistenstaat werden

08.02.2016

Die EU müsse den Staat vor dem Zerfall bewahren, so Experten.

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Könnte Bosnien zu einem Jihadistenstaat vor der Haustüre der EU werden? Nicht, solange die EU den Zerfall des Staates verhindert, betonen politische Experten in Sarajevo. "Die bosnischen Muslime werden sich am Westen orientieren, solange der Westen die territoriale und rechtliche Integrität des Landes garantiert", sagt der Analyst Srecko Latal im Gespräch mit österreichischen Journalisten.

Die bosnische Serbenrepublik strebt immer vehementer nach Unabhängigkeit, noch im Frühjahr soll ein symbolisches Referendum in dem kleinen Landesteil zu dieser Frage stattfinden. Für die bosnischen Muslime, die kein geschlossenes Siedlungsgebiet haben, wäre ein Zerfall der früheren jugoslawischen Teilrepublik ein rotes Tuch. Wenn der Westen dies zulasse, könnten sich die bosnischen Muslime der islamischen Welt zuwenden, warnt Latal.

Bedrohung derzeit nicht größer

Derzeit sei die jihadistische Bedrohung in Bosnien-Herzegowina "nicht größer als in anderen europäischen Ländern", betont Latal. Die jüngsten Terroranschläge in Paris hätten sogar positive Auswirkungen gehabt, "weil sie der islamischen Gemeinschaft und dem bosniakischen politischen Führern geholfen haben, ihre westliche Orientierung noch deutlicher zu machen". Terroristen könnten auch das zunehmende Machtvakuum ausnützen, das durch den Streit zwischen den beiden Landesteilen, der bosniakisch-kroatischen Föderation und der Serbenrepublik, entsteht. "Je mehr Bosnien zu einem gescheiterten Staat wird, umso größer ist der Spielraum für Terroristen."

Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkriegs stehe Bosnien heuer "an einer entscheidenden Weggabelung", glaubt Latal. Die ethnischen Spannungen nehmen zu, weil sie von den Politikern geschürt werden. Die EU werde zunehmend marginalisiert, während Länder wie Russland oder die Türkei ihren Einfluss im Land zu stärken versuchen. "Die EU verliert das PR-Spiel", beklagt Latal. Der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko mit seinem weitgehend entmachteten Amt sei gar "der Kapitän auf einem sinkenden Schiff".

Schwierige Situation

Vor einer zunehmenden Radikalisierung der bosnischen Muslime warnt auch die Islam-Expertin Dzevada Susko. Aufgrund des jahrhundertelangen Zusammenlebens mehrere Religionen habe Bosnien eine "milde Interpretation des Islam". Die Bosniaken seien zwar "emotional" mit der islamischen Welt verbunden, orientierten sich wirtschaftlich und sozial aber immer am Westen. "Wenn es um den Lebensstil geht oder darum, auf welche Universitäten man seine Kinder schickt, dann ist es immer der Westen", betont die Leiterin des Instituts der bosniakischen Tradition des Islam. So seien im Bosnien-Krieg viele Menschen in islamische Länder geflüchtet. "Sie sind alle zurückgekehrt oder in den Westen emigriert."

Gerade im Bosnien-Krieg sei auch eine andere Interpretation des Islam ins Land gekommen. Damals hätten die Bosniaken festgestellt, "dass sie aus dem Westen keine Unterstützung bekommen, und sich in Richtung Osten orientiert". Seitdem sei der schiitische Islam oder jener der sunnitischen Golfstaaten im Land präsent. "Es kam zur Radikalisierung, weil der Westen uns nicht unterstützte", betonte Susko. Gerade deswegen sei es heute so wichtig, "dass Länder wie Österreich Bosnien nicht aufgeben, damit es nicht zu einer weiteren Radikalisierung kommt".

Heftige Auseinandersetzungen

Die Experten schließen auch nicht aus, dass es zu einem Wiederaufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den drei Ethnien kommen könnte. Solange die Verfassungsstruktur und Landeseinheit gewahrt werde, bleibe es friedlich, betonte Latal. Sollte aber der bosnisch-serbische Präsident Milorad Dodik aus seinen separatistischen Worten Taten machen, "werden sich die politischen Probleme in diesem Land sehr bald in Sicherheitsprobleme verwandeln", warnte der Experte. Zugleich betonte er, dass die politischen Probleme im Land nicht durch die EU-Annäherung zu lösen seien. Der Beitrittsprozess sei eine "technische Angelegenheit". Die EU brauche aber eine gesamthafte Strategie für Bosnien-Herzegowina.

Keine Alternative

Dagegen glaubt Andrej Kiendl von der EU-Vertretung in Sarajevo, dass die tiefe Teilung des Landes durch wirtschaftliche Fortschritte überwunden werden könne. In diesem Zusammenhang werde die EU wohl auch "ein Auge zudrücken müssen", zugleich aber in enger Abstimmung mit den anderen internationalen Partnern wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) agieren müssen. Auch wenn es ein mühsamer Weg sei, gebe es zur EU-Annäherung keine Alternative.
 

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