Nach Flügelstreit

Deutsche Linke mit neuer Führung

03.06.2012

Die neue Spitze will die Partei nach wochenlangem Streit einen.

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Der baden-württembergische Linke-Chef Bernd Riexinger und die sächsische Bundestagsabgeordnete Katja Kipping sind die neue Doppelspitze der deutschen Linken. Der 56-jährige Vertreter des linken Gewerkschaftsflügels um Oskar Lafontaine setzte sich am Samstagabend auf dem Parteitag in Göttingen in einer Kampfabstimmung um den Vorsitz gegen den ostdeutschen Reformer Dietmar Bartsch durch. Der Wahl war ein wochenlanger erbitterter Streit über die künftige Führung vorausgegangen. Kipping, bisher Vize-Vorsitzende, und Riexinger folgen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch nach. Lötzsch war schon vor Wochen zurückgetreten.

Im ersten Wahlgang durften ausschließlich Frauen antreten. Der zweite Wahlgang für die andere Hälfte der Doppelspitze stand Männern und Frauen offen. Für Riexinger stimmten 297 Delegierte (rund 53 Prozent), für Bartsch 251 (rund 45 Prozent). Neben Riexinger und Bartsch traten Bernd Horn, Werner Klein und Jürgen Stange an.

Konflikt eskalierte
In der vorausgehenden Abstimmung über den weiblichen Teil der Doppelspitze hatte Kipping (34) mit 67,1 Prozent der gültigen Stimmen gegen die Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn gewonnen. Kurz nach der Wahl von Kipping hatte die stellvertretende Linke-Chefin und Lafontaine-Freundin Sahra Wagenknecht ihren Verzicht auf eine Kandidatur für den Parteivorsitz erklärt. Sie werde nicht kandidieren, da sie den Konflikt zwischen "Fundis" und "Realos" und Ost und West nicht auf die Spitze treiben wolle, sagte sie. Es solle eine neue Führung jenseits der Konfliktlinien geben. Sie will nun für einen der Stellvertreter-Posten kandidieren, über die noch in der Nacht zu Sonntag entschieden wird.

Kipping sagte, es sollte nicht mehr um Ost und West gehen. Es gebe eher Strömungsauseinandersetzungen in der Partei. "Bitte lasst uns diese verdammte Ost-West-Verteilung auflösen", sagte sie.  Den Wettbewerb um Lautstärke könne sie nicht gewinnen, sagte sie in Anspielung auf die vorangegangenen Reden der Parteigranden Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. "Vielleicht kann ich einen Wechsel in der Tonlage einbringen."

Riexinger bedankte sich bei den Delegierten für die Wahl. Er sagte: "Ich bin überzeugt: Wir werden eine gemeinsame Linke weiterentwickeln, und wir werden wieder auf die Erfolgsspur zurückkommen." Riexinger, der dem Lafontaine-Lager zugerechnet wird, erklärte, er wolle alles daran setzen, "die Polarisierung der letzten Monate zu überwinden". Nötig sei eine Rückbesinnung auf die politischen Aufgaben der Linken.

Machtkampf
Angesichts des wochenlangen Machtkampfs hatten vor der Abstimmung führende Linke-Politiker die Partei vor einer Selbstzerstörung gewarnt. Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi rief die Delegierten auf, eine Führung zu wählen, in der sich die unterschiedlichen Flügel wiederfinden. Gelinge dies nicht, sei es besser, sich fair zu trennen. Zuvor hatte der bisherige Parteichef Klaus Ernst vor einem Auseinanderbrechen als Folge der internen Machtkämpfen gewarnt. Auch Linke-Gründungsvater Lafontaine mahnte eindringlich, die internen Richtungskämpfe zu beenden. "Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehme", sagte der Mitbegründer und frühere Chef Oskar Lafontaine.

Beim Parteitag stritten die beiden Flügel der Linkspartei so deutlich wie nie zuvor. Fünf Jahre nach der Vereinigung von WASG und PDS zur Linkspartei verläuft längs der ost- und westdeutschen Landesverbände ein tiefer Graben. Dabei geht es um die Bedingungen für Regierungsbeteiligungen. Der Zwist kristallisierte sich vor allem in Reden von Ex-Parteichef Lafontaine und dem Bundestagsfraktionsvorsitzenden Gysi.

Erfahrene Politikerin
Kipping wird keinem der beiden Flügel zugerechnet. Sie stammt aus Sachsen und damit aus dem mitgliederstärksten Landesverband der Linken. Die 34-jährige Dresdnerin wurde bereits im Alter von 21 Jahren Berufspolitikerin. 1999 zog sie als jüngste Abgeordnete in den sächsischen Landtag ein, 2005 wechselte sie in den Bundestag. Dort ist sie Vorsitzende des Ausschusses Arbeit und Soziales. Zu ihren Schwerpunktthemen gehörten bisher Ökologie und Soziales. Bereits 2004 erhob sie die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Flagge zeigt Kipping auch als Anmelderin und Teilnehmerin von Protestaktionen gegen Neonazi-Aufmärsche. Anfang 2010 gründete sie das parteiübergreifende "Institut Solidarische Moderne", zu dessen Vorstandssprechern neben ihr auch Hessens Ex-SPD-Chefin Andrea Ypsilanti und der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold zählen.

Riexinger zählt zum fundamentalistischen Flügel. Er habe die Vision einer sozialistischen Gesellschaft, erklärte er in seiner Bewerbungsrede. "Wir müssen uns auf unsere Ziele besinnen." Er sei überzeugt, es gebe in Ost und West sehr viele positive Ansätze, sagte der 56-Jährige mit Blick auf die vornehmlich aus dem Osten stammenden Reformer und die überwiegend in den alten Bundesländern vertretenen Fundamentalisten. Er sehe keine unüberwindbaren Barrieren.

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