Ratspräsident Tusk:

EU plant neue Russland-Sanktionen wegen Aleppo

21.10.2016

EU-Ratspräsident: Wenn Gräueltaten weitergehen - Moskau wolle EU schwächen.

Zur Vollversion des Artikels
© AFP
Zur Vollversion des Artikels

Die 28 EU-Staaten haben Russland mit Sanktionen gedroht, sollte die Bombardierung der syrischen Stadt Aleppo im bisherigen Umfang anhalten. "Die EU erwägt alle möglichen Optionen, wenn die gegenwärtigen Grausamkeiten weitergehen", heißt es in der am Freitag in Brüssel beschlossenen Gipfelerklärung. Neben der syrischen Regierung wird auch Russland für die Bombardements verantwortlich gemacht.

Auf die Frage, wann die Schwelle für Sanktionen erreicht sei, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, über einen Zeitplan sei nicht gesprochen worden. Die EU könne aber sehr schnell handeln, wenn dies nötig sei. Wenn die Intensität der Bombenangriffe wie in den Tagen vor dem jetzigen Waffenstillstand anhalte, "dann ist das schon ein Grund zu überlegen, was tun wir jetzt", sagte Merkel.

Tusk warnt

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte, "Russlands Strategie ist es, die EU zu schwächen". "Wir haben vereinbart, dass wir Kurs halten und gegenüber Russland unsere Einigkeit bewahren", sagte Tusk. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sagte, man müsse die Verantwortung Russlands einmahnen. Sanktionen habe beim EU-Gipfel aber niemand gefordert.

Die 28 EU-Regierungen hatten am Donnerstagabend über ihr Verhältnis zu Russland debattiert. Konkrete Entscheidungen standen nicht auf der Agenda. Die EU-Regierungen seien sich einig gewesen, dass man einerseits gute Beziehungen zu Moskau wolle, aber die Vorgänge in Syrien nicht ignorieren könne, sagte Merkel. Der Westen macht Russland maßgeblich für die Bombenabwürfe auf Aleppo verantwortlich, weil es zusammen mit der syrischen Luftwaffe Angriffe auf die Rebellen im Ostteil der Stadt fliegt.

Nach hartem Ringen auf dem EU-Gipfel wurde der konkrete Verweis auf Sanktionen aus der Gipfelerklärung gestrichen. Laut Diplomaten hatten insbesondere Italien, Griechenland und Ungarn dagegen Front gemacht. "Beim Thema Syrien sind wir alle sehr besorgt", sagte der italienische Regierungschef Matteo Renzi. "Aber ich glaube, es würde nichts bringen, hier einen Verweis auf Sanktionen einzufügen."

Die Regierungschefs seien besorgt über russische Feindseligkeiten, die von Luftraumverletzungen, Desinformationskampagnen, Cyberattacken bis hin zur Einmischung in den politischen Prozess in der EU und darüber hinaus reichten, fasste EU-Ratspräsident Tusk die Debatte zusammen. Frankreichs Präsident Francois Hollande warnte, dass Sanktionen zunächst die syrischen Verantwortlichen treffen würden. "Sollte Russland die Bombardements fortsetzen, muss es sich ebenfalls auf Antworten der EU einstellen, aber da sind wir noch nicht."

Merkel and Hollande hatten ihren EU-Kollegen zuvor über ihr Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Berlin berichtet. In der Nacht auf Donnerstag hatten sie im Kanzleramt fast eineinhalb Stunden mit Putin über die Lage in Syrien gesprochen und ihn nach Angaben von Hollande gedrängt, "seine Hausaufgaben" in Syrien zu machen. Merkel hatte vor Gipfelbeginn das einseitige Angebot der russischen und der syrischen Regierung zu einer stundenweisen Waffenruhe in Aleppo abgelehnt. Es sei ein dauerhafter Waffenstillstand nötig, sagte sie.

Auch andere EU-Regierungschefs äußerten sich sehr kritisch. Der estnische Ministerpräsident Taavi Roivas warf der syrischen Regierung und Russland vor, sie wollten Aleppo zu einem neuen Grosny machen. Im Tschetschenienkrieg hatte die russische Armee diese Stadt fast völlig zerstört.

Die syrischen und russischen Luftangriffe auf Aleppo haben international Entsetzen und Empörung ausgelöst. Nach Angaben von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon wurden seit Beginn der Offensive auf die nordsyrische Stadt fast 500 Menschen getötet und rund 2000 verletzt. Seit Anfang Juli habe kein Hilfskonvoi der UNO mehr die Stadt erreicht, Essensrationen würden bis Ende des Monats ausgehen, warnte Ban am Donnerstag vor der UNO-Generalversammlung.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf unterdessen den Rebellen in Aleppo vor, Zivilisten an der Flucht aus der umkämpften syrischen Stadt zu hindern. Die Rebellen hätten gegen die Feuerpause verstoßen "und die Evakuierung der Bevölkerung verhindert", sagte Lawrow nach Angaben seines Ministeriums am Donnerstag in einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry. Moskau hatte zur Wochenbeginn eine eintägige Waffenruhe verkündet, die am Donnerstag in der Früh in Kraft trat. Laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu wurde diese Pause um 24 Stunden ausgeweitet.

Zur Vollversion des Artikels