Ukraine-Krieg

Expertin: Wien als Gipfelort "durchaus realistisch"

28.08.2025

Putin und Selenskyj könnten sich in Österreich treffen.

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© APA/AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLD
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Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) hat Wien als möglichen Verhandlungsort für einen Ukraine-Gipfel ins Rennen geschickt. Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz, Wien und Raabs, erklärte im APA-Gespräch, dass sie die Hauptstadt Österreichs als Gipfelort für "durchaus realistisch" hält. Wien habe sich 1961 "als Brückenbauer etabliert" und "als ein neutraler Treffpunkt zwischen Ost und West".

Wien war bereits des Öfteren Austragungsort für internationale Gipfeltreffen. Historisch von großer Bedeutung war die zweitägige Zusammenkunft des damaligen sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow und des US-Präsidenten John F. Kennedy Anfang Juni 1961. "Der Wiener Gipfel 1961 war für Österreich ein unglaublicher Prestigegewinn. Wien hat sich als ein Brückenbauer etabliert, als ein Ort der Begegnung, als ein Vermittler und neutraler Treffpunkt zwischen Ost und West", sagte Stelzl-Marx, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Graz. "Es war das erste und letzte persönliche Treffen von Kennedy und Chruschtschow, den wichtigsten Politikern der Welt. Wien hat sich durch den Gipfel als Gastgeber etabliert und als Drehscheibe für diplomatische Treffen", sagte die Historikerin. Die Wirkung des besagten Treffens habe auch dazu beigetragen, dass sich 1979 Jimmy Carter und Leonid Breschnew in der Wiener Hofburg zur Unterzeichnung des SALT-II-Abkommens getroffen haben.

Auf die Frage, ob Wien ein realistischer Austragungsort für einen möglichen Ukraine-Gipfel ist, antwortete die Expertin: "Historiker blicken gerne zurück und nicht in die Zukunft, aber vor dem Hintergrund dieser zwei großen Gipfel, die hier stattgefunden haben, ist es durchaus realistisch." Österreich habe über das Bundeskanzleramt und das Außenministerium eine klare Bereitschaft signalisiert, ein Treffen auszurichten. Hinzu komme, dass die österreichische Hauptstadt ein Standort mit entsprechend langer Erfahrung in internationaler Diplomatie sei. "Ich glaube, dass Wien durchaus attraktiv ist, da es Sitz vieler internationaler Organisationen, wie der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.) und auch der UNO, ist", resümiert Stelzl-Marx.

Wien 1961 als neutraler Boden

Dass Wien 1961 als Verhandlungsort ausgewählt wurde, hatte laut der Zeithistorikerin mehrere Faktoren als Ursache: "Die Neutralität hat Wien zu einem sicheren Boden gemacht. Weiters die geopolitische Lage, weil Wien direkt an der Nahtstelle zwischen Ost und West im Kalten Krieg gelegen ist." Die Auslegung eines Treffens habe auch in die aktive und selbstbewusste Neutralitätspolitik des damaligen Außenministers Bruno Kreisky (SPÖ) hineingepasst und man habe sich auf internationaler Ebene als neutraler Brückenstadt inszenieren können. "Der Wiener Gipfel 1961 war für Österreich auf jeden Fall ein großer Erfolg", führte die Historikerin aus.

Von Interesse waren beide Treffen auch für internationale Medienvertreter: "Es waren riesige Mediengipfel. Die Augen der Welt waren auf Wien gerichtet, und das sowohl 1961, als auch 1979. Gleichzeitig gab es bei beiden Gipfeln ein intensives Rahmenprogramm", so Stelzl-Marx. Beispielsweise gab es im Zuge des Treffens 1961 ein Damenprogramm mit und rund um Jackie Kennedy und Nina Chruschtschowa. "Dieser Damengipfel hat großes Interesse in der Öffentlichkeit geweckt, da hier zwei konträre Frauen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Stilen aufeinandergeprallt sind."

Österreichs Beziehung zu Russland

Auf die Frage, ob man eine pro-russische Auslegung der österreichischen Politik vermuten kann, antwortete Stelzl-Marx: "Was man natürlich sieht, ist, dass Österreich eine sehr enge Verbindung zu Russland aufgebaut hat, beispielsweise in wirtschaftlicher Hinsicht. Erst durch den Ukraine-Krieg 2022 gab es jetzt eine abrupte Zäsur in dieser Entwicklung." Diese Entwicklung gehe zum Teil bereits auf die Fünfzigerjahre zurück: "1960 hat Chruschtschow Wien besucht und auch eine Österreich-Rundfahrt gemacht, die vermutlich auch ein Auslöser war, warum Wien zum Austragungsort für das Gipfeltreffen 1961 gewählt wurde. Vor dem Hintergrund der zehnjährigen Besatzung und dem erfolgreich abgeschlossenen Staatsvertrag haben sich die Beziehungen zwischen Russland bzw. der Sowjetunion und Österreich über mehrere Jahrzehnte hinweg recht eng und positiv entwickelt." Gleichzeitig habe man aber auch gesehen, dass sich Österreich stark an den Westen gebunden gefühlt habe.

Vor allem die Neutralität Österreichs und die Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 hatten in diesem Zusammenhang einen hohen Stellenwert. "Ein erster Einschnitt war aus meiner Sicht die Ungarn-Krise 1956. Hier hat Österreich die Tore für Flüchtlinge aus Ungarn geöffnet, obwohl der Kreml das nicht goutiert hat. Österreich hat hier einen wesentlichen Weg eingeschlagen und gezeigt, dass es sich um eine militärische und keine politische Neutralität handelt", sagte Stelzl-Marx.

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