Hohes Potenzial

Kamel-Antikörper als Therapie bei Blutgerinnungsstörung

12.06.2019

Abgeleitete Nanobodies von Kamel-Antikörpern haben ein hohes Forschungs- und Medizinpotential. Speziell bei Blutgerinnungsstörungen.

Zur Vollversion des Artikels
© Symbolbild (Getty Images)
Zur Vollversion des Artikels

Wien. Haifische, Kamele, Lamas und Alpakas bilden wesentlich kleinere Antikörper als der Mensch. Produziert man gentechnisch auf ihrer Ausgangsbasis noch kleinere Nanobodies, haben diese ein hohes Potenzial für Forschung und Medizin, hieß es am Mittwoch bei einem Hintergrundgespräch von Sanofi in Wien. Therapeutisch eingesetzt werden Nanobodies derzeit bei einer schweren Blutgerinnungsstörung.

1989 entdeckte der belgische Wissenschafter Raymond Hamers durch Zufall, dass Dromedare extrem kleine Antikörper als Immunantwort bilden. Antikörper sehen wie zweizinkige Gabeln aus. Mit den Zinken binden sie an ihrer Zielstruktur, das "Hinterteil" sorgt dann für das Auslösen einer Immunreaktion, zum Beispiel gegen eine Zelle oder einen Krankheitserreger.
 
Die Wissenschafter erkannten das Potenzial der kleinen Antikörper und beschnitten sie auch noch um das "Hinterteil". Fazit: Ein solcher Nanobody besitzt gute Bindungseigenschaften und ist so klein, dass er in Strukturen wirken kann, die von Antikörpern normalerweise nicht erreicht werden.
 

Erste Medikamente auf "Kamel-Basis" seit 2018

 
Das Biotech-Unternehmen Ablynx entwickelte die Technik bis hin zur massenhaften Produktion in E.-coli- Bakterien oder Hefezellen. Herstellen lassen sich laut Pascal Reisewitz (Ablynx, mittlerweile vom Konzern Sanofi übernommen) jeweils gewünschte Nanobodies in unterschiedlicher und auch - was die gleichzeitige Bindung an verschiedene Proteine betrifft - mehrfach-spezifischer Form.
 
Verwendet wird derzeit ein erstes Medikament auf dieser Basis, das 2018 für die Behandlung von schweren Attacken der erworbenen thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) zugelassen worden ist. Bei der akuten schweren Erkrankung, die meist auf der Basis einer Infektion auftaucht, ist jenes Enzym (ADAMTS-13) nicht mehr vorhanden oder nicht wirksam, welches den die Blutgerinnung vermittelnden Von-Willebrand-Faktor wieder abbaut. Dahinter stecken immunologische Prozesse. Im Endeffekt bedeutet ein solches Geschehen aber, dass es im ganzen Organismus zu Mikrothromben in den kleinen Blutgefäßen mit potenziell schwersten Folgen kommen kann.
 
"Das können lebensbedrohliche Organschäden, zum Beispiel an den Nieren, im Gehirn oder im Herzen sein", sagte Bernd Jilma (Klinische Pharmakologie MedUni Wien/AKH). Austausch des Blutplasmas, Enzymersatz und Immunsuppression bei oft langfristigen Aufenthalt der Patienten auf der Intensivstation machten bisher die Therapie aus. Der bispezifische Nanobody Caplacizumab hemmt die Bindung des Von-Willebrand-Faktors an die Blutplättchen und stört so den Mechanismus der Thrombusbildung und führt als zusätzliche Therapie zu einer Verkürzung der akuten Phase.
 

Seltenes Krankheitsbild

 
Die erworbene TTP ist sehr selten. Sie dürfte drei bis vier Menschen pro Million Einwohner treffen. Zumeist handelt es sich um sonst gesunde Erwachsene, vorwiegend Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren. Warum ihr Immunsystem - zum Beispiel bei einer Infektion - plötzlich die Kontrolle der Blutgerinnung attackiert, ist unbekannt.
 
Nanobodies werden derzeit für verschiedene Zwecke in Forschung und Therapie unterschiedlicher Erkrankungen entwickelt. So zum Beispiel dürften sie besonders gut für die Aufreinigung von Proteinen geeignet sein. In der Medizin scheinen neben der Gabe per Injektion/Infusion auch Applikationsformen zur Inhalation oder gar als Augentropfen möglich.
Zur Vollversion des Artikels