Sahel im Visier

Sorge vor Al Kaida: Islamisten wollen jetzt DIESE Länder erobern

21.07.2025

Jihadisten vollziehen eine strategische Wende - gleich mehrere Hauptstädte sind in Gefahr.

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© Reuters
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Im Morgengrauen des 1. Juni zerriss Gewehrfeuer die Stille des Militärstützpunkts in Boulkessi im westafrikanischen Mali. Wellen von jihadistischen Aufständischen der mit Al-Kaida verbündeten Gruppe Jama'at Nusrat al-Islam wal Muslimeen (JNIM) stürmten das Lager und überrumpelten die erst kürzlich dort stationierten Soldaten. Einige Truppen, die mit dem Stützpunkt nahe der Grenze zu Burkina Faso nicht vertraut waren, fanden kaum Deckung.

Andere flohen in die trockene Buschlandschaft, wie ein Soldat berichtet, der mit Überlebenden gesprochen hat. Stunden später kursierten Videos im Internet, die triumphierende JNIM-Kämpfer zeigten, wie sie über die Leichen gefallener Soldaten stiegen. Die Gruppe erklärte, mehr als 100 Soldaten getötet und etwa 20 gefangen genommen zu haben.

Strategische Wende der Jihadisten

Der Angriff auf Boulkessi war eine von mehr als einem Dutzend tödlicher Attacken von JNIM auf Militärposten und Städte in Mali, Burkina Faso und Niger im Mai und Juni. Er verdeutlicht nach Einschätzung von Experten eine strategische Wende der Jihadisten. Die Gruppe verfolge nicht mehr nur eine Guerillataktik auf dem Land. Ihr Ziel sei es nun, Gebiete um städtische Zentren zu kontrollieren und eine politische Vormachtstellung zu erlangen. "Die jüngsten Angriffe deuten auf den konkreten Versuch hin, die Hauptstädte der Sahelzone einzukreisen, mit dem Ziel, einen Parallelstaat zu schaffen, der sich vom Westen Malis bis in den Süden des Nigers und den Norden Benins erstreckt", sagte Mucahid Durmaz, Analyst bei der Risikoberatungsgruppe Verisk Maplecroft.

Allein im Mai kamen bei Angriffen von JNIM in Mali, Burkina Faso und Niger mehr als 850 Menschen ums Leben. Dies geht aus Daten der US-Beobachtungsgruppe ACLED hervor. Das ist noch einmal deutlich mehr als in den Vormonaten, als die Zahl der Getöteten auch schon bei durchschnittlich rund 600 lag. Die Militärregierung in Mali äußerte sich nicht zu den Opferzahlen. Nach dem Angriff auf Boulkessi teilte die Armee lediglich mit, die Truppen hätten sich nach heftiger Gegenwehr zurückgezogen. In der Mitteilung hieß es: "Viele Soldaten kämpften, einige bis zu ihrem letzten Atemzug."

Einnahme der Hauptstädte als "plausible Bedrohung"

An der Spitze von JNIM steht Iyad Ag Ghaly, ein früherer Anführer der Tuareg-Aufstände in Mali. Er führte 2012 die fundamentalistische Gruppe Ansar Dine an, die kurzzeitig den Norden Malis besetzte und eine brutale Form des islamischen Rechts der Scharia durchsetzte. Nach einer französischen Militärintervention wurde er vertrieben. Der Internationale Strafgerichtshof sucht ihn wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Analysten zufolge ist sein Ziel die Errichtung einer islamischen Herrschaft in der gesamten Sahelzone und die Ausweitung des Einflusses auf die Küstenstaaten Westafrikas. In einem seiner seltenen Video-Auftritte rief er Muslime im Dezember 2023 dazu auf, sich gegen die Militärregierungen in Mali, Niger und Burkina Faso und deren Verbündeten Russland zu mobilisieren.

Die Taktik von JNIM ist Experten zufolge immer ausgefeilter geworden und umfasst den Einsatz von Flugabwehrwaffen sowie von Drohnen zur Überwachung und für Präzisionsschläge. Die Gruppe, deren Stärke auf 6.000 bis 7.000 Kämpfer geschätzt wird, hat sich durch Überfälle, Viehdiebstahl, Entführungen und dem Eintreiben von Steuern erhebliche Mittel beschafft. In den von ihr kontrollierten Gebieten hat sie eine spezielle Abgabe, die "Zakat", eingeführt und verlangt von Frauen das Tragen von Schleiern und von Männern, sich Bärte wachsen zu lassen. Auf schwere Strafen wie Amputationen verzichtet sie jedoch bisher.

Die Einnahme der Provinzhauptstädte Djibo und Diapaga in Burkina Faso im Mai für mehrere Tage sei eine neue Eskalationsstufe, sagte Heni Nsaibia, Analyst bei ACLED. "In Djibo blieben sie mehr als elf Stunden. In Diapaga sogar zwei bis drei Tage. Das ist etwas, was wir so noch nicht gesehen haben." Allein in Djibo erbeutete die Gruppe seinen Angaben zufolge Munition im Wert von schätzungsweise drei Millionen Dollar. Die Vorstellung, JNIM könnte die Hauptstadt Malis oder Burkina Fasos - Bamako oder Ouagadougou - einnehmen, gelte inzwischen als "plausible Bedrohung".

"MIT WACHSENDER SORGE"

Die Militärjuntas in Mali, Burkina Faso und Niger, die zwischen 2020 und 2023 die Macht übernahmen, hatten versprochen, die Sicherheit wiederherzustellen. Sie brachen jedoch die Beziehungen zu westlichen Staaten ab und wandten sich stattdessen Russland als Militärpartner zu. Im Zuge dessen zogen auch internationale Soldaten aus Mali ab. Bundesheer-Soldaten waren in der Region von 2013 bis 2022 im Rahmen des UNO-Einsatzes MINUSMA und der EU-Ausbildungsmission EUTM stationiert. Die UNO-Mission galt der Stabilisierung der Region und der Ausbildung örtlicher Soldaten.

In Deutschland und Österreich wird die Entwicklung im Sahel mit wachsender Sorge beobachtet. Das österreichische Außenministerium ist seit der Entführung der Österreicherin Eva G. aus ihrem Haus in der nigrischen Wüstenstadt Agadez vor mehr als einem halben Jahr mit einem Krisenteam vor Ort.

"Insgesamt ist der Sahel die weltweit am stärksten von Terrorismus betroffene Region", heißt es aus dem deutschen Außenministerium. "Auch die Sicherheitslage in den benachbarten Küstenstaaten wird von dieser Entwicklung zunehmend beeinträchtigt." Jihadistische Terrorgruppen weiteten ihren Aktionsradius stetig aus, und die Militärregierungen seien offenkundig nicht in der Lage, dies zu verhindern. "Die Präsenz des russischen Afrikakorps und zuvor der Wagner-Söldnertruppe trägt zur Destabilisierung des Sahel bei", hieß es weiter.

Den direkten Draht zu den Regierungen im Sahel dürften die westlichen Staaten mittlerweile weitgehend verloren haben. Österreich und Deutschland unterstützen die Menschen vor Ort mit zivilen Projekten. Burkina Faso etwa ist seit 1992 ein Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Mit der Hilfe soll verhindert werden, dass sich die Menschen den islamistischen Bewegungen anschließen, wie aus dem Auswärtigen Amt in Berlin zu hören ist. Doch genau dieses Ziel verfolgen die Extremisten. Für die Rekrutierung neuer Kämpfer ist die gezielte Ansprache von an den Rand gedrängten Gemeinschaften von zentraler Bedeutung. "JNIM fördert sein Narrativ als Verteidiger von marginalisierten Gemeinschaften", sagte Analyst Durmaz. "Sie kämpfen nicht nur um Territorium – sie kämpfen um Legitimität."

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